Unsere Mutter bekommt nun also täglich Mittagessen geliefert. Teils vom Feinkost-Laden an der Ecke, teils von „Essen auf Rädern“. Sie ist 87 Jahre alt und sie sah ein, dass jemand der unbedingt über hundert Jahre alt werden will, regelmäßig zu Mittag essen sollte.
Seitdem kann man sagen: Und täglich grüßt das Murmeltier – bei mir telefonisch – per Flatrate. Ihr Feedback über das Essen reicht von totaler Begeisterung bis zu völliger Ablehnung. In stark variierendem Tonfall vermeldet sie dann abwechselnd folgendes:
– Solch eine Essenslieferung wäre ja wunderbar! (Essen kochen war nämlich noch nie ihr Ding.) Aber sie käme sich so faul vor, wenn sie nicht selbst kochen würde. Es würde wirklich gut schmecken.
– Es wäre Essen geliefert worden, was sie damit solle. Das bisschen könne sie sich auch selber kochen. Das wäre viel zu wenig und es wären keine Kartoffeln dabei. Außerdem würde es überhaupt nicht schmecken. Wer hätte das eigentlich bestellt? Wer es bestellt, müsse es auch zahlen.
– Die hätten wieder Essen gebracht. Die Portion wäre viel zu groß. Sie würde womöglich noch dick davon werden. Sie würde das Menü auf keinen Fall essen! Zwei Stunden später ein erneuter Anruf: Warum sie heute kein Essen bekommen hätte, sie hätte solch einen Hunger. Am nächsten Tag, nach der nächsten Lieferung, wunderte sie sich darüber, dass zwei Mittagsmenüs auf dem Tisch standen, ein kaltes und ein heißes.
Aber heute schoss sie den Vogel ab: Ihre kindliche Selbstüberschätzung ging einmal wieder mit ihr durch und daraufhin ein Lachkrampf mit mir:
„Ja, ich wollte Essen auf Rädern haben“, räumte sie ein, „aber doch jetzt noch nicht. Dafür bin ich noch zu jung!“
Wenn das Murmeltier doch wenigstens nur EINmal pro Tag grüßen würde, wäre ich schon zufrieden. Aber die Vergessfrequenz unserer Mutter liegt bei 5 bis 10 Minuten. Das ist hart. Wenn das so weiter geht, braucht mein Telefon eine Kühlstation, damit es sich zwischendurch für ein paar Minuten erholen kann.