Waschen zum Mondscheintarif

Meine Mutter hat einen zweiten Urenkel bekommen. Als ich sie besuchte, brachte ich eine süße Glückwunschkarte mit. Die gefiel ihr auf Anhieb auch so gut, wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber sie könne nicht mehr schreiben, sagte sie. Das solle ich für sie erledigen, weil meine Schrift besser wäre als ihre. Ich sagte ihr, dass das überhaupt nicht darauf ankommen würde. Ich nahm ein Blatt Papier und schrieb erst einmal alles auf, was meiner Mutter als Text so einfiel. Ich kam mir vor wie eine Sekretärin. Allerdings benahm sich meine Mutter nicht wie eine Chefin mit Durchblick.

Immer wieder sagte sie, dass man dem Kleinen doch nicht zu seiner eigenen Geburt gratulieren könne, was wir ja auch nicht tun wollten. Die Eltern und der große Bruder sollten die Glückwünsche erhalten und das Baby ein Geschenk. Dann fragte sie ständig, für welches Kind die Karte wäre und ich wiederholte in Dauerschleife, dass es sich bei dem Neuzuwachs um ihren zweiten Urenkel handeln würde und der erste schon drei Jahre alt sei.

Dann redete ich ihr gut zu und gab ihr einen neuen Kugelschreiber, den ich extra mitgebracht hatte. Schließlich kenne ich den Kugelschreiberverschleiß meiner Mutter. Ich hatte ihr in der Vergangenheit schon wer weiß wie viele Kugelschreiber geschenkt. Aber die würden angeblich alle nicht gut „gehen“. Jedenfalls behauptet sie das.

Als sie endlich mit dem Schreiben anfing, erkannte ich sofort ihr Problem. Meine Mutter kratzte regelrecht den vorgefassten Text auf die Glückwunschkarte. Kein Wunder, denn sie hielt den Kugelschreiber viel zu weit oben und setzte viel zu schräg zum Schreiben an. Auf diese Weise konnte die kleine Kugel gar nicht richtig rollen und ihre Fassung kratzte auf dem Papier. Aber der Text war niedlich und entsprach genau dem, was meine Mutter an Freude ausdrücken wollte über den kleinen Fidibus. So konnte ich später zu Hause die Karte „eintüten“, mit der Adresse versehen und losschicken.

Bevor ich wieder ging, wollte ich noch den Pullover meiner Mutter zum Waschen mitnehmen. Dazu hätte sie ihn natürlich erst einmal ausziehen müssen. Aber sie fühlt sich so wohl in ihrem Lieblingspullover, den sie täglich trägt, dass sie sich nicht von ihm trennen kann. Ich schlug vor, sie könne doch so lange ihren anderen flauschigen Pullover anziehen, der ihr doch auch gefallen würde. Woraufhin sie entgegnete:

„Meinen Pullover brauche ich nicht zu waschen, den hänge ich mal an die frische Luft in den Sonnenschein oder in den Mondschein. Dann ist er wieder wie neu.“ Gut, ich habe es noch nicht ausprobiert, ob der Mond getrocknetes Eigelb und Kaffeeflecken per Lichtenergie entfernt, aber ehrlich gesagt, setze ich bei Flecken und Waschmitteln lieber darauf, dass die Chemie zwischen ihnen stimmt.

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