Jetzt klickt’s beim Drücken

Meine Mutter hat jetzt eine neue Smart-Easy-Learning Fernseh-Fernbedienung für Senioren. Easy-Learning heißt, dass Funktionen von der alten Fernbedienung übernommen werden. Man bestimmt, was sie lernen soll, also die Fernbedienung, nicht meine Mutter. Da wären ohnehin Hopfen und Malz verloren.

So habe ich dem neuen Gerät also „gezeigt“, was es von der alten Fernbedienung übernehmen soll, also alles, was meine Mutter braucht: die Sender ARD, ZDF, NDR, die Laut- und Leisefunktion und das Ausschalten. Es ist wirklich ganz einfach, wenn man sich die Gebrauchsanweisung vorher in Ruhe durchgelesen hat. Deshalb hatte ich das auch bei uns zu Hause getan und sogar mit unserer Fernbedienung geübt, damit ich die „Programmierung“ beherrsche. Nicht, dass ich grundsätzlich ungeschickt oder schwer von Begriff wäre, aber mir war klar, dass ich es vorher drauf haben musste, bevor meine Mutter ständig dazwischen fragen würde. Meine Erfahrung hat mich nun einmal gelehrt: Sich in Gegenwart meiner Mutter zu konzentrieren, ist ungefähr genauso entspannt möglich, wie eine Banane im Affenkäfig zu essen.

Dank meiner Vorarbeit lief alles problemlos und die Fernbedienung war kurz vor fünfzehn Uhr bereit für ihren ersten Einsatz – also pünktlich zur Lieblingssendung meiner Mutter, die Trödel-Show Bares für Rares. Ich musste nur noch schnell die Augentropfen geben und die Brille meiner Mutter putzen. Dann reichte ich ihr die Fernbedienung und ließ sie das zweite Programm anschalten. Perfekt! Die großen Tasten der überschaubaren Fernbedienung sind gut sichtbar und klicken sogar beim Drücken. Für Senioren wirklich viel besser geeignet als die vielen winzigen weichen Gummitasten auf der alten Fernbedienung. Der erste Versuch klappte auf Anhieb. Also kochte ich Kaffee und wir aßen ein Stück Kuchen. Soweit so gut.

Fazit der Kaffeestunde: Der Trödelverkauf im Zweiten lief wie am Schnürchen, die Fernbedienung war voll zufriedenstellend, der Kuchen nicht, jedenfalls für meine Mutter. „Du hättest lieber Butterkuchen kaufen sollen“, meckerte sie. Da sie aber grundsätzlich über den Kuchen meckert, egal wie gut oder schlecht er auch sein mag, kann man trotzdem von einem sehr befriedigenden Gesamtergebnis dieses Nachmittags sprechen.

Warum ich überhaupt Kuchen kaufe? Sie verlangt grundsätzlich danach und das Meckern darüber gibt ihr ein wichtiges Gefühl der Kompetenz, denke ich.

Seitdem steht das Teil im Fokus – die Fernbedienung, nicht der Kuchen. Was sie mit dem neuen Handy solle, beschwert sie sich während ihrer ständigen Anrufe. Ich sage ihr jedes Mal, dass das eine neue Fernbedienung für ihren Fernseher ist. Worauf sie böse entgegnet, dass sie keine neue bräuchte, weil sie doch eine hätte. Theoretisch ja, denke ich dann erleichtert und freue mich, dass ich das alte Modell gleich mitgenommen habe.

Auch erinnere ich sie ständig daran, dass sie doch immer mal Probleme beim Ausschalten hatte oder sie sogar schon bei dem Bezahl-Sender Netflix gelandet war. Und so etwas könne passieren, wenn man so viele Tasten auf seiner Fernbedienung hätte. Für ungefähr dreißig Sekunden ist sie dann zufrieden, bis sie auf der Fernbedienung den Schriftzug easy learning liest. Dann werde ich regelmäßig gefragt: „Ist das eine Fernbedienung für Doofe?“ Am liebsten würde ich dann sagen: Nein, es ist eine Fernbedienung für nervige Omas und ihre verzweifelten erklärungsmüden Angehörigen, die damit vom Erschießen abgehalten werden.“ 

Aber anstatt mir die Kugel zu geben, flöte ich in den Hörer: „Die ist für Hotels, damit die Gäste nicht immer alles verstellen.“ Das leuchtet ihr dann ein und sie fühlt sich gut damit – jedenfalls für ungefähr dreißig Sekunden. Und dann beginnt das Gespräch wieder von vorne. Wenn ich keinen Themenwechsel hinbekomme.

Einmal rief sie an, um zu sagen, dass die neue Fernbedienung aber auch ein Handy wäre. Mit diesem Smart hätte sie schon telefoniert. Mit wem sie gesprochen hatte, wusste sie nicht mehr. Das war sicher ein traumhaftes Gespräch, dachte ich. Widersprach ihr aber nicht.

Gestern habe ich als Selbstschutzmaßnahme einen Aufkleber über den Schriftzug smart easy learning geklebt. Dort steht jetzt TV-Fernbedienung. Aha, sagte sie, telefonieren kann ich also nicht damit?“ Woraufhin ich sagte, dass das ja auch nicht notwendig wäre, weil sie bereits fünf Telefone hätte, zwei in der Küche, eines im Wohnzimmer, eines im Schlafzimmer und ein Handy im Strumpf mit Kordel zum Umhängen; das dürfte wohl genügen. Da konnte sie mir nur beipflichten. Das war zur Abwechselung mal ein schönes Gefühl für mich.

Dann träumte ich von einer Fernbedienung, mit der man meine Mutter bedienen könnte. Es gäbe eine Reset-Taste und ein Easy-Learning-Programm…. Aber dann wurde mir bewusst, was das bedeutet: So was nennt man künstliche Intelligenz. Autsch! Künstliche Intelligenz für Menschen? Nein danke! Der reinste Albtraum! Dann sollten die Menschen lieber so bleiben, wie sie sind. Und ich mache so weiter, wie bisher in meinem Leben. Auch wenn das für mich manchmal so angenehm ist, wie einen Besen zu fressen im Käfig voller Narren.

Der Himmel kann warten

Neulich spät abends rief meine Mutter verzweifelt bei uns an. Ihr Fernseher würde sich nicht mehr ausschalten lassen. Und auf dem Bildschirm würde das Wort Netflix stehen. Nachdem ich ihr vergebens Instruktionen gegeben hatte, wie sie den Fernseher wieder zum Laufen bekommen würde, schlug ich vor, dass sie ihren Mieter um Hilfe bitten sollte. Das scheint geklappt zu haben. Aber das ist natürlich keine Dauerlösung. Ich kann ihm unmöglich zumuten, dass er womöglich im Fünfminutentakt zu meiner Mutter runtergeht. Schließlich hat er noch ein eigenes Leben – auch jenseits vom Fernsehen.
 
Deshalb habe ich meiner Mutter jetzt eine Senioren-Fernbedienung Modell Oma und Opa bestellt. Netflix-Tasten gibt es da keine und ich denke, damit wird sie klarkommen.

Falls es auch mit diesem Modell eines Tages schwierig werden sollte, hoffen wir auf eine Weiterentwicklung der Fernbedienungen. Ich denke an ein Senioren-Modell mit der Bezeichnung Uroma und Uropa neunzig plus: An, Aus, Eins, Zwei, Drei, fertig Schluss. Alles andere könnten die Angehörigen auf Zuruf aus der Ferne mit einer App steuern. Das wär’s doch!

Am folgenden Samstag gegen 20:30 Uhr rief meine Mutter an, um zu sagen, dass sie den Fernseher ausgeschaltet hätte. Es gäbe überhaupt nichts. Im ersten Sport und im Zweiten einen ganz schrecklichen Krimi. Früher wären die Krimis viel besser gewesen, „mit schönen Morden“.

Upps! Schöne Morde? Wie auch immer, ich war erst mal froh, dass meine Mutter in dem Moment wieder mit ihrer Fernbedienung klar kam. Vor allem mit dem Ausschaltknopf. Dann warf ich einen Blick in die TV-Zeitung. Die Fotos des aktuellen Programms zeigten einen Skiläufer, böse dreinschauende Ermittler und Promis in einer Quiz-Show. Ich dachte nur, wenn das das Angebot des öffentlich-rechtlichen Fernsehens am Samstag zur besten Sendezeit ist, sollte ich schleunigst den neuen Handsender besorgen. Denn es könnte jederzeit wieder passieren, dass unsere Mutter den Ausschaltknopf bei ihrer alten Fernbedienung nicht findet. Und das kann sie sich bei DEM Fernsehprogramm nicht leisten.

Warum gibt es eigentlich keine Streaming-Dienste für Senioren 80+? Fernsehen was gefällt. Zum Beispiel Märchen. Ich meine natürlich nicht solche Märchen, die uns von Politikern erzählt werden.

Altersgerechtes Fernsehen mit Inkontinenz-Pausen präsentiert von Rheumasalben- und Abführmittel-Herstellern. Unaufregend, auch geeignet für den kleinen Schlummer zwischendurch. Fernsehen mit Senioren-Spaß-Faktor. Das wär´s doch!

Dieser Streaming-Dienst könnte sich zum Beispiel nennen: Granny Sky Ticket.  Aber nicht, dass das falsch verstanden wird: The Heaven can wait!

Was Angela Merkel und meine Mutter gemeinsam haben

Bei meinem letzten Besuch hatte ich meiner Mutter ihre vier Hosen zurückgebracht, die ich für sie frisch gewaschenen hatte. Die beiden neueren Exemplare sind eine Konfektionsgröße größer, weil die alten Hosen einfach zu eng geworden waren. Meine Mutter hatte zugenommen, so viel stand fest. Man kann sich kaum noch vorstellen, dass sie nach ihrem Krankenhaus- und Reha-Aufenthalt vor fünf Jahren nur noch Größe 38 hatte und jetzt wieder 46 trägt. Im Speiseraum der Reha-Klinik hatte sie sich als renitenter Suppenkasper in gewisser Weise einen Namen gemacht. Das Essen schmeckte ihr dort nie und sie dachte nur an das eine: „Ich will hier raus!“

Im Laufe der Zeit ist sie um mindestens drei Konfektionsgrößen gewachsen – natürlich nur in die Breite. Ansonsten ist sie eher geschrumpft. Deshalb hatte ich die neue Hose nach der Wäsche kürzen müssen, und das, obwohl ich extra eine Kurzgröße gekauft hatte!

Nun sollte meine Mutter also eine frische Hose anziehen. Zuerst zog sie die älteste an, die sie kaum schließen konnte und die trotz Komfortbund mit Gummizug sehr eng in der Taille sitzt. Dann zog sie die Hose wieder aus und probierte die neuere an. Aber die war ihrer Meinung nach wiederum viel zu groß, obwohl sie am Bauch genau richtig saß. Ich konnte sie auch nicht umstimmen. „Die Hosenbeine sind viel zu weit“, stellte sie fest. Und damit wollte sie die Diskussion beenden.

„Ja, wenn der Umfang der Beine nicht mit dem Umfang des Bauches mit wächst, sieht es eben so aus“, konterte ich und zeigte ihr ein Foto von der Bundeskanzlerin aus der aktuellen Tageszeitung. Da saß die Hose ganz genau so wie bei meiner Mutter. „Wenn es dich beruhigt“, sagte ich ihr, „die Bundeskanzlerin ist mit mehr Bauchumfang und weiteren Hosenbeinen überall in der Welt unterwegs.“

Die Antwort war klar. Nein, so wolle sie auf keinen Fall herumlaufen. Also zog sie die neue Hose wieder aus und die alte wieder an. Welch eine „Überraschung“, die ging sehr schwer zu. Ich fragte sie, ob sie vielleicht eine Zange benötigte, bekam aber keine Antwort. Während ich bei der einen Hose den abgesprungenen Knopf annähte und den Saum ausbesserte, probierte sie im ständigen Wechsel die beiden verschiedenen Hosen an. Gymnastische Übungen sind nichts dagegen. Aufstehen, Hose runterziehen, hinsetzen, ein Bein ausstrecken, wieder anwinkeln, das andere Bein ausstrecken, wieder anwinkeln, die Hose zur Seite legen, die andere Hose in die richtige Position bringen, ein Bein ausstrecken, wieder anwinkeln, das andere Bein ausstrecken, wieder anwinkeln, aufstehen, Hose hochziehen, hinsetzen, aufstehen, Hose runterziehen, Hinsetzen, Bein ausstrecken…….. So ging es eine Weile.

Es nützte auch nichts, wenn ich ihr sagte, dass sie schon mehrmals hin und her probiert hätte. Sie solle sich doch einfach für eine Hose entscheiden. Es gäbe nun mal keine Zwischengröße. Sie könne ruhig mit der größeren von beiden zum Frauenbund-Kaffeetrinken rüber gehen. Was sie dann schließlich auch tat.

Während sie drüben war, kümmerte ich mich noch um den Einkauf und die Mülleimer, in denen ich einiges verschwinden ließ, denn am folgenden Tag war Müllabfuhr. Vorher hatte ich mal wieder heimlich den Kühlschrank-Thermostat höher gedreht. Das steht ganz oben auf meiner Check-Liste. Meine Mutter ist nämlich der Ansicht, dass sie beim Kühlschrank Strom sparen und den Drehschalter auf die niedrigste Stufe einstellen müsse. So etwas hat natürlich Auswirkungen auf die Frische der Lebensmittel und auf den Wohlfühlfaktor der Salmonellen und Schimmelpilze. Während die Lebensmittel wieder runterkühlten, fuhr ich in der Hoffnung nach Hause, dass meine Mutter endlich auch das Stromsparen vergisst. Dann hätte der Gedächtnisschwund wenigsten mal einen positiven Effekt. Aber eines mussten wir im Laufe der letzten Jahre mit unserer Mutter feststellen: Es ist kein Verlass auf die Demenz!

Wenn die Nachtmusik durchs Haar pfeift

Meiner Mutter mussten dringend die Haare gewaschen und geschnitten werden. Letztes Jahr hatten meine Schwester und ich es noch geschafft, sie zum Friseur zu bekommen. Jetzt ist diesbezüglich nichts mehr zu machen. Aber zufrieden scheint sie mit ihrer Hippiefrisur nicht zu sein, denn ich fand Haare in ihrem Waschbecken; sie hatte sich ihren Pony mit der spitzen Nagelschere geschnitten. Auweia, das hätte auch ins Auge gehen können.

Ich fragte meine Mutter, ob sie nächste Woche mit dieser „Frisur“ zum Frauenbund-Kaffeetrinken rüber gehen wolle. Worauf sie nur trotzig entgegnete: „Wieso, das ist doch mal was anderes.“ Aber die netten Frauen würden vermutlich eher eine gepflegte Frisur als etwas anderes bezeichnen und nicht den bekannten muffigen Wischmopp.

Als ich die Mitarbeiterin vom ambulanten Pflegedienst kürzlich bei ihr antraf und das Haarewaschen ansprach, sah ich die Verzweiflung in ihren Augen – also in den Augen der Betreuerin, nicht in denen meiner Mutter. Kennen sie den Film »Harry und Sally«? Die Dame vom ASB schaute mit genau diesem hilflosen Blick, mit dem der Kellner Harry anschaute, während Sally ihre komplizierten Extrawünsche bestellte. Dagegen drückte der Blick meiner Mutter eher Entschlossenheit aus. Sie war wild entschlossen, sich nichts gefallen zu lassen. Als ob eine Haarwäsche lebensgefährlich wäre. Und – ja, ich weiß: Den Kriegswinter hätten sie auch ohne Haarewaschen überlebt.


Aber auch ich war an diesem Tag wild entschlossen nicht aufzugeben und hatte deshalb meine Haarschneideschere mitgebracht. Als meine Mutter und ich am Küchentisch saßen, trommelte sie wieder einmal mit allen Fingern auf dem Tisch herum, wie sie es oft macht, wenn sie lange Weile hat oder Aufmerksamkeit haben möchte. Ich fragte sie, ob sie gerne Schlagzeug spielen würde. Nein, sie ahmte das Klavierspielen nach, wie sie mir lächelnd versicherte. Leider ist sie wegen ihrer starken Finger-Arthrose nicht mehr in der Lage, das echte Instrument im Wohnzimmer zu spielen.

Früher hatte meine Mutter oft abends, wenn wir Kinder im Bett lagen, Eine Kleine Nachtmusik von Mozart erklingen lassen. Das war ihr Lieblingsstück. Und es war das Stück in ihrem Repertoire, das sie am besten beherrschte. Als ich jetzt am Küchentisch anfing die kleine Nachtmusik zu pfeifen, setzte sie augenblicklich mit ihrer trommelnden Begleitung ein. Das bereitete uns so viel Spaß, dass wir gar nicht mehr aufhören konnten.

Ich pfeife wirklich gern. Das scheine ich von meinem Vater übernommen zu haben. Wenn er im Sommer mit heruntergelassener Seitenfensterscheibe nach Hause kam, konnten wir sein Pfeifen schon hören, bevor wir sein Auto sehen konnten. Auch das Herannahen meiner Schwester heute ist oft kaum zu überhören. Das Pfeifen scheint bei uns in der Familie zu liegen.

Durch unser gemeinsames Pfeif-Konzert in der Küche war meine Mutter nun so gut gelaunt gewesen, dass ich die Gunst der Stunde nutzte und meine Haarschneideschere und einen Kamm aus der Tasche zog. „Nur ein wenig die Spitzen“, sagte ich, während ich ihr schnell ein Handtuch umlegte und  weiterpfeifend begann, das Haar zu schneiden. Das ist sozusagen Multitasking unter erschwerten Bedingungen, bei denen Pflegegrade mit im Spiel sind. Während ich die Haare kürzte, hörte ich immer wieder: „Nicht so viel, jetzt ist aber genug ab!“ Aber wenn ich erwiderte, dass ich doch gerade erst angefangen hätte zu schneiden, ließ sie mich gewähren. Ihr fehlendes Kurzzeitgedächtnis spielte mir sozusagen in die Hände und bescherte meiner Mutter endlich mal wieder eine Frisur. Ich war erleichtert.

Das Leben ist nicht leicht. Aber wie immer es auch läuft, manchmal ist man versucht zu sagen: „Was soll´s – Hauptsache die Haare liegen.“ Das hatte Mozart bestimmt auch so manches Mal gedacht – und sich seine weiße Perücke aufgesetzt.

Als ich fertig war, gingen wir gemeinsam ins Bad, um den Haarschnitt im Spiegel zu begutachten. Als sie sich so sah, war sie plötzlich einer Haarwäsche nicht mehr völlig abgeneigt. Ich ergriff auch hier wieder sofort die Gelegenheit und meine Mutter beim Schopfe. Sie genoss die Haarwäsche. Nach dem Föhnen sagte sie, dass es sich gut anfühlen würde. Ich durfte sogar noch ein paar Korrekturen vornehmen, während sie vor dem Fernseher saß. Natürlich hätte ich das muffige Haar lieber zuerst gewaschen und dann geschnitten, aber hohe Ansprüche darf man bei einem dementen Menschen nicht stellen. Ich konnte froh sein, dass es diesmal überhaupt geklappt hatte.

Für mich wäre es heute ein ziemlich erfolgreicher Nachmittag gewesen, wenn der Staubsauger, für den ich kürzlich extra neue Beutel gekauft hatte, nicht so stark geschwächelt hätte. Die Beutel hätte ich mir sparen und lieber gleich einen neuen Staubsauger kaufen können. Warum hat mir die Reinigungskraft denn nicht schon längst gesagt, mit welcher Krücke sie in der Wohnung meiner Mutter saugt. Ich hatte ihr doch angeboten, alles zu kaufen, was sie benötigt. Dieses Exemplar pfeift aber auch aus dem letzten Loch, statt richtig zu saugen. Ich meine den Staubsauger, nicht die Reinigungskraft.

Sie sehen, das Leben sorgt immer dafür, dass man auf dem Teppich bleibt. In diesem Fall blieben sogar die Haare drauf. Dafür, dass der Staubsauger sich beruflich bereits zur Ruhe gesetzt zu haben schien, sorgte er noch für viel Wirbel und machte einen Riesenkrach. Nah warte, dachte ich, in Kürze kannst du im Keller dem Zweitstaubsauber Gesellschaft leisten. Der befindet sich bereits wegen unbefriedigender Saugleistungen im Vorruhestand. Ja, so etwas kommt dabei heraus, wenn man am falschen Ende spart und billige Geräte kauft. Ich werde also demnächst ein neues leistungsstarkes Modell besorgen, dachte ich und wusste schon, was auf mich zukommen wird, nämlich tägliche Anrufe mit folgendem Inhalt in verschiedenen Variationen: „Hier ist ein Staubsauger, der mir nicht gehört! Wo ist mein Staubsauger? Ich will sofort meinen alten zurück! Der ging noch wunderbar. Ich weiß gar nicht, was ihr immer habt?“ Die Aussicht auf die unvermeidlichen Diskussionen war nicht prickelnd, aber nun musste ich erst mal irgendwie zusehen, wie ich die abgeschnittenen Haare vom Fußboden weg bekam.

Als ich mich später endlich wieder setzen konnte, kamen wir auf die Kleine Nachtmusik zurück. Meine Mutter gestand mir, dass sie sich früher hier im Hause kaum getraut hatte, andere Stücke zu spielen, weil sie befürchtete, die nicht gut genug zu beherrschen. Sie genierte sich vor ihrer Schwiegermutter, die ausgebildete Pianistin war und außerdem noch über das absolute Gehör verfügte. Schade eigentlich, denn meine Mutter spielte sehr gefühlvoll und meine Großmutter war ein sehr lieber und zufriedener Mensch; die hätte sich bestimmt gefreut und keine Kritik geübt.

Später begleitete mich Die Leichte Kavallerie nach Hause. Ich konnte nicht anders als laut mitzupfeifen, während ich über die Autobahn preschte. Diese großartige Ouvertüre von Franz von Suppé wäre für einen Film geeignet, in dem der Retter naht. Ich hatte heute keine große Tat vollbracht, aber mit Hilfe Einer Kleinen Nachtmusik habe ich den inneren Schweinehund und den äußeren Struwwelpeter meiner dementen Mutter in den Griff bekommen.

Mozart möge mir verzeihen, dass ich sein Werk dafür benutzt habe. Aber ich glaube, er hätte laut gelacht. Schließlich war er ja auch nur ein Mensch, und er war alles andere als zimperlich.