Ich liebe eine Sendung im Fernsehen, obwohl ich sie noch nie gesehen habe. Ich sehe auch sonst so gut wie nichts im Fernsehen, um mir nicht die gute Laune verderben zu lassen, wenn sie gerade mal kurz vorbeischaut. Aber warum liebe ich ausgerechnet diese Sendung?
Meine 86-jährige relativ demente und beratungsresistente Mutter, die ich aus bestimmten Gründen in Finanz-Angelegenheiten betreuen muss, ruft mich täglich sechs- bis zweiundzwanzigmal an und verlangt nach Bargeld, obwohl sie sämtliche Einkäufe bargeldlos tätigen kann.
Ich habe mit meiner Laune einen Deal getroffen. Wir lassen meine Mutter den ganzen Tag mit dem Anrufbeantworter ins Leere laufen. Gegen Abend hört mein Mann den Anrufbeantworter ab und gibt mir eine kurze Zusammenfassung des Aufgesprochenen oder spielt mir auch mal die eine oder andere Passage vor. Danach rufe ich zurück, es sei denn, ich hatte sie an dem Tag schon besucht.
Es ist mir ein Bedürfnis, täglich mit ihr zu sprechen, auch wenn ich jedes Mal ein ungutes Gefühl habe. Schon, wenn ich nur die Telefontaste drücke, frage ich mich immer, wird sie mich gleich wieder beschimpfen? So auch gestern.
Als ich anrief, traute ich meinen Ohren nicht. Ich hörte sie voller Begeisterung und freudestrahlend sagen: „Es gibt gerade Bares für Rares, diesmal aus einem richtigen Schloss, ganz toll! Was wolltest du?“
Bingo! Gepriesen sei diese Sendung. Mögen die Verantwortlichen sie in den nächsten vierzehn Jahren nicht absetzen. Meine Mutter möchte nämlich hundert Jahre alt werden, und OHNE diese Sendung wäre das schlecht auszuhalten, jedenfalls für ihre Kinder.
Was für die Kleinen der Kinderkanal, ist für meine Mutter offenbar diese Trödel-Verkaufs-Sendung. Ein Flohmarkt auf höchstem Niveau mit Experten und Gutachtern. Kinderkanal und Seniorenkanal, die reinsten Nervenretter! Ein Glücksfall für alle Betreuenden. Ich frage mich, wie die Leute es früher nur ohne Fernsehen ausgehalten haben, sogar wenn sie selbst gar nicht fernsehen wollten?
Ich hatte in der Programm-Zeitung gelesen, dass die Sendung in einem Industriegebiets-Gebäude aufgezeichnet wird. Dann wurde es ja höchste Zeit, dass sie jetzt den richtigen Rahmen bekommt. In einem Schloss gibt es bestimmt auch edle Teppiche, denke ich so bei mir.
Für meine Mutter sind Teppiche das, was Teekannen für mich sind. Aber Teekannen können zum Glück keine Mottenlöcher bekommen, wird mir erleichtert klar, als ich einen ihrer Teppiche betrachte. Dafür kann man Teppiche ohne Probleme fallen lassen, könnte meine Mutter erwidern. Aber warum sollte man die fallen lassen, die liegen doch schon – und das ÜBERALL.
Wenn meine Mutter früher ein freies Stück Teppichboden sah, wurde sie nervös und sie hielt umgehend nach einer geeigneten Brücke Ausschau. Weil die Größe nicht genau hinkam (eben anders als bei einem Puzzle), überlappten sich manche Teppiche – und daran hat sich leider nichts geändert. Es gibt nach wie vor richtige Stolperfallen. Jeder, der den Klassiker Dinner for one kennt, weiß, wovon ich spreche.
Hätte meine Mutter einen Butler, würde der sagen: „Kann ich den Tigerkopf noch mal sehen?“ Stimmt, da wüsste er wenigstens eindeutig, an welcher Stelle er stolpern kann.
Mit den Stühlen bleibt man ständig irgendwo hängen. Zum Glück saugt der alte Staubsauger so (zuverlässig) schlecht, dass er sich nicht irgendwo festsaugen und die einzelnen Teppiche hochreißen kann. Mit einem Profigerät müsste man ansonsten höchste Saugkünste an den Tag legen, um nicht zu verzweifeln.
Wenn ich sage, dass überall Teppiche sind, ist das noch untertrieben. Sogar vor der Wohnzimmertür meiner Mutter hängt von innen ein Wand-Teppich. In der Küche liegen ebenfalls Teppiche, ein Teppichläufer sogar direkt vor der Küchenzeile. Eine sehr hygienische Lösung, denn das dunkle, ehemals gestreifte Teil nimmt alles ganz in sich auf. Man sieht den Schmutz quasi nicht mehr und muss nichts wegwischen. Wie praktisch!
Aber das ist noch nicht alles. Zu allem Überfluss sind die Polstermöbel mit dunkelbraunen zottigen Lammfellen bedeckt. Die ganze Wohnung ist ein wahres Paradies für Reinigungskräfte, die minimal-invasiv vorgehen. Man kann garantiert nach dem Putzen keinen Unterschied zu vorher sehen.
Sollten Sie jemanden kennen, der auf dieser Basis reinigen möchte, oder würden Sie das gerne selber übernehmen, melden Sie sich doch bei mir. Für Hausstaub-Allergiker ist dieser Job allerdings weniger geeignet. Es sei denn, sie werfen regelmäßig vor dem Betreten der Wohnung ein Antiallergikum ein. Interessiert?
Früher hatte ich oft davon geträumt, auf einem fliegenden Teppich zu sitzen und allen davonzufliegen. Inspiriert wurde ich bestimmt durch die vielen Teppiche in unserem Haus. Allerdings flog das bescheuerte Ding in meinem Traum nie besonders hoch, es schwebte immer höchstens zwei Meter über dem Boden, sodass ich meine Verfolger nie abschütteln konnte. Inzwischen träume ich andere verrückte Sachen – ganz ohne Teppiche. Liegt wohl daran, dass bei uns keine „Perser“ herumliegen.