Meine Eltern hatten einen Schrebergarten in einem Nah-Erholungsgebiet zwischen dem großen Fluss und einem kleinen See mitten in der Stadt. Als Kinder verbrachten wir fast jedes Sommer-Wochenende und häufig auch die Ferien dort. Nach dem Tod meines Vaters behielt meine Mutter die Parzelle – allein schon, weil sie gerne Früchte erntete und verarbeitete.
Ein alter Freund des Hauses, zehn Jahre älter als sie, hatte dort ebenfalls einen Garten. Im Sommer schwammen die beiden verwitweten Naturfreunde oft gemeinsam über den See und zurück. Direkt am anderen Ufer befindet sich eine orthopädische Klinik, in der meine Mutter eines Sommers, nach einem Eingriff, ein paar Tage verbringen musste. Wie es sich gehört, wollte ihr der alte Freund einen Besuch abstatten.
Gedacht, getan, zog er sich seine Badehose an und schwamm kurzerhand und mit langen Zügen über den See. Drüben angekommen ging er, so nass, wie er war und nur in Badehose, direkt in das Krankenhaus. An der Rezeption sagte er nur: „Ich möchte jemanden besuchen.“
Die „Empfangsdame“ hinter der Glasscheibe nickte mit offenem Mund und ausdruckslosem Gesicht. Ihr Blick ging langsam an dem fremden Mann in der Badehose hinunter und wieder hoch. „Aha“, brachte sie zunächst nur heraus. Dann gewann ihre professionelle Seite wieder die Oberhand und sie fragte freundlich: „Oder möchten sie vielleicht abgeholt werden?“, und sie fügte hinzu: „Ich kann für sie anrufen. Sie können aber auch selbst hingehen. Linke Hand, immer am Ufer entlang. Da geht es direkt zur Nervenklinik.“
Damals war unser „Onkel Peter“ noch nicht dement. Man kann sagen, er war einfach nur ein eigensinniger, komischer Kauz. Die Demenz kam erst später. Ab dann hatte er keine Zeit mehr zum Schwimmen, denn er war seeehr beschäftigt mit seinen Mathe-Hausaufgaben für die erste bis vierte Klasse, die sie ihm im Heim aufgaben. Er freute sich stets über die besten Zensuren.
Manchmal wünschte ich, wir könnten meine Mutter auch mit dem kleinen Einmaleins glücklich machen.