Silberlocken im Aufwind

Mein Mann und ich unternehmen eine Radtour. Zunächst fahren wir mit dem Auto und den Fahrrädern auf dem Anhängerteil zu einem Park. Von dort aus ist es nicht weit zu einer schönen Flussniederung. Alltags ist auf dieser Strecke nicht so viel los und das Wetter scheint perfekt für einen Ausflug.

Die Fahrräder sind schnell einsatzbereit, und es geht los. Zuerst fahren wir an dem Park und an einem See vorbei. Ich genieße die seidige Luft. Ab und zu ist der Weg ein bisschen ansteigend. Dann geht mir die Puste aus und ich bekomme meine mangelnde Kondition zu spüren. Wenn es länger aufwärts geht, fahre ich im ersten Gang und „pfeife aus dem letzten Loch“. Mit meinem Mann kann ich nun einmal nicht mithalten. Ich hatte mich eigentlich mein Leben lang viel bewegt und auch ein wenig Sport getrieben. Aber vielleicht liegt es einfach nur daran, dass ich nicht so kräftig und natürlich auch nicht mehr die Neueste bin.

Mein Mann passt sich meiner Geschwindigkeit an und wir unterhalten uns während der Fahrt. So fahren wir entspannt auf einem Deich entlang. Soweit das Auge reicht, sehen wir Marschlandschaft mit satten grünen Wiesen auf denen schwarz-weiße Kühe grasen. Die Ufer des sich schlängelnden Flusses sind mit Schilf eingefasst. Der Deich passt sich dem Flussverlauf an. Teilweise fließt zu beiden Seiten des Deiches ein Gewässer. Dann führt der Weg vom Deich herunter. Wir fahren über eine Brücke in die Marschlandschaft hinein und kommen auf einen Weg, der direkt neben dem Fluss verläuft. Kilometer lang fahren wir weiter, teilweise an friedvollen Pferdekoppeln entlang, bis der Weg wieder auf den Deich führt. Ab und zu kommen wir an einem schönen Fachwerk-Bauernhaus vorbei. Alles ist perfekt, ein idyllischer Ausflug im Sonnenschein.

Die Strecke ist asphaltiert und deshalb auch für Skater sehr gut geeignet. Derzeit scheinen aber keine unterwegs zu sein. Stattdessen flitzen immer wieder „Silberlocken“ (ein interner Fachbegriff für Senioren) mit Rädern an uns vorbei, sogar auf ansteigenden Strecken! Die Leute sehen viel älter aus als ich, finde ich zumindest, und ich bin ehrlich beeindruckt von ihrer Kondition. Aber dann wird mir klar, dass sie auf sogenannten E-Bikes sitzen. „Warmduscher“, sagt mein Mann trocken. „Die sollen mal gut aufpassen, dass sie bei der Geschwindigkeit den Lenker gerade halten.“

Gerade überholt uns ein kleines altes Ehepaar, gemütlich sitzend auf ebenfalls kleinen E-Bikes. Der Mann balanciert mit seinem Lenker einen großen, geflochtenen Hundekorb mit niedrigem Rand vor sich her. Ich würde dieser Konstruktion nicht über den Weg trauen. Auf dem Korb thront ein dicker Dackel, wie auf einem Podest. Beim Vorbeifahren guckt er mich dicknäsig mit einem mitleidigen Blick an und gähnt. Ich würde ihm am Liebsten zurufen: „Wenn dein Herrchen nur einmal kurz bremsen muss, machst du einen Satz nach vorne.“

Solch ein uralter Hundekorb passt irgendwie nicht auf ein modernes, schnelles E-Bike, denke ich. Da gibt es doch bestimmt passende Hartschalen-Modelle, bei denen der Hund auch sicher transportiert wird. Aber das ist hier definitiv nicht der Fall! Ich sehe förmlich vor mir, wie sich ein großer Hund den Dackel im Vorbeilaufen von dem flachen Präsentierteller schnappt und damit wegrennt.

Wir fahren weiter auf dem Deich. Hier sind nur Fahrzeuge von Anliegern erlaubt. Ab und zu fährt eins an uns vorbei. Wir werden von einem Postauto überholt, von einem Trecker, einem Lieferwagen und einem Smart. Dann fährt ein SUV hinter uns. Er hält kaum Abstand und ist offensichtlich genervt, weil er uns nicht sofort überholen kann. Kaum ist die Straße breit genug, gibt er ordentlich Gas und braust haarscharf an uns vorbei. Die Abgaswolke, die uns entgegen bläst, hat mit Sicherheit mehr Feinstaub im Abgang als in der Software angegeben ist. Man sollte ihm den Berechtigungsschein entziehen, falls er überhaupt einen besitzt und den Wagen am besten gleich stilllegen. Damit wäre allen Beteiligten geholfen – allen voran der Umwelt.

Nun sitzen wir in einem idyllischen Biergarten an einer Schleuse mit Blick auf den kleinen Fluss. Die Sonne wärmt uns von hinten, während wir ein alkoholfreies, kühles Bier trinken. Ein Boot mit einem Angler fährt vorbei. Das Wasser strömt mit kleinen Strudeln schwer dahin und verbreitet einen Duft, den man nur an einem Fluss wahrnehmen kann. Ich möchte stundenlang auf das Wasser schauen und dabei sein, wenn sich Ruhe und Bewegung vereinen. Ich spüre die Kostbarkeit dieses Augenblicks.

Eine halbe Stunde später fahren wir die gleiche Strecke wieder zurück. Kurz nach einer Biegung kommt uns ein großer Hund entgegen, ohne Halsband, ohne Leine. Er sieht zufrieden aus, leckt sich die Lefzen und verschwindet wieder aus unserem Blickfeld. Er wird doch nicht …

Nachdenklich reibe ich mir die Augen. Meine Fantasie geht wohl mit mir durch. Wir radeln weiter durch die schöne Natur, mein Mann mit seinem leichten Alurad und ich mit meiner schweren holländischen Gazelle. Irgendwie passt der Name nicht zu dem Rad, denke ich, Elefant würde es eher treffen. Aber meine Gazelle ist rasant im Abgang. Wenn es abwärts geht, fühlt sich der Name passend an; dann bin ICH nämlich schneller.

Warum ich mir kein E-Bike kaufe? Ganz einfach, ich habe es nicht mehr eilig. Ich bin jetzt im Ruhestand und fahre nur noch JUST FOR FUN!

Ich sehe ROT – auch in puncto Fönwelle

Um 5 Uhr sah ich das Morgenrot am Himmel. Ein wunderschöner Anblick. Aber es soll nichts Gutes verheißen, sagt man. Der Wetterbericht hatte auch tatsächlich Blitz und Donner vorhergesagt. Wir haben Donnerstag, das passt! Schon gestern Abend schien die Sonne nur noch zwischen einer graublauen Wolkendecke hervor, durch einen weißen Weichzeichner hindurch. Es wirkte wie kaltes Licht. Aber irgendwie schön. Deshalb sind wir nicht, wie sonst jeden Abend, zum Sonnenuntergang gegangen, sondern mit den Rädern durch das Ferienhausgebiet gefahren. Hier fahre ich gerne. Nicht wenige Häuser haben den Meerblick zu beiden Seiten. Man sieht sehr schöne Häuser und es duftet nach Blüten und Wald. Viele Kiefern und überall wuchernde blühende Heckenrosen, Holunder und Jelängerjelieber.

Dann fuhren wir auf der schönen ruhigen Hauptstraße zurück. Kann eine Hauptstraße ruhig sein? Wenn es sich, wie in diesem Fall, um eine Sackgasse handelt, schon. Plötzlich hörten wir ein ungewohntes Geräusch hinter uns. In regelmäßigen Abständen flitzten immer wieder einzelne Rennräder an uns vorbei. Am Jachthafen wurden sie beim Wenden von jemandem registriert. Ohne abzusteigen, flitzten sie dann mindestens zwanzig Kilometer wieder zurück zu ihrem Ausgangspunkt. Dieses Rennen findet alljährlich statt.

Wir radelten weiter in eine wunderschöne Bucht. Hier schmiegen sich die Häuser an einen Hang, sodass alle Bewohner Meerblick haben. Mir fiel wieder ein „rotes Anwesen“ auf. Eindeutig die Lieblingsfarbe der Besitzer: Dach, Klinker, Fenster, Haustür, Rollos, Eingangstor, alles ROT. Im Vorgarten blühten Mengen von roten Mohnblumen, daneben stand eine Jacht mit roter Persenning. Ja, sogar an der Naturstein-Hangbefestigung wucherten rotblättrige Steingewächse. Wie die Besitzer wohl das riesige Boot über den Steinhang vom Grundstück herunter ins Wasser bekommen? Durch das Tor passt es jedenfalls nicht. Müssen sie einen Kran bestellen?

Ein kleiner Hund kam bellend angelaufen. Aufrecht stehend kratzte er am roten Gartentor, legte sein Köpfchen schief und sah uns aus seinen kleinen Knopfaugen an, ohne weiter zu bellen. Wie süß! Das weiße Fell war rotbraun gefleckt. Herrchen und Frauchen waren demnach auch bei der Wahl ihres Hundes ihrer Lieblingsfarbe treu geblieben. Dieses „rote Anwesen“ ist außergewöhnlich für Dänemark. Aber die Besitzer scheinen nun einmal die Farbe ROT zu lieben. Ich stellte mir vor, wie sie sich abends mit Rotwein zuprosten. Darin würden sie sich allerdings nicht von den anderen Dänen unterscheiden.

Jetzt schaue ich in den riesigen Spiegel, der hinter dem winzigen Waschbecken angebracht ist, und denke: Warum kann mein Mann nicht Haare schneiden, so wie ich es bei ihm kann? Ich sehe bald aus wie Donald Trump. Howard Carpendale hat die Frisur besser gestanden. Aber seine Spuren verschwanden im Sand, während Tramps Spuren ins Weiße Haus führten. Wie ich gehört habe, mussten die zuständigen Damen und Herren lange nach einer Friseurin fürs Weiße Haus suchen, die dieses Föhnwellenunikat beherrscht; schließlich haben sie eine in Hollywood aufgetan. Sie ist nicht mehr die Jüngste und etwas dement, hat es aber noch voll drauf. Ja, braucht man überhaupt ein Kurzzeitgedächtnis für diese spezielle Frisur, so solange wie die schon unmodern ist? Ich glaube nicht. Und es besteht sicher auch nicht die Befürchtung, dass sie wieder modern wird.