Sexuelle Revolution an der Feinkostecke

Als ich mittags mit Besorgungen für meine Mutter aus der Stadt zurückkam, ging ich gleich zum türkischen Feinkost-Laden, um das Essen für meine Mutter und mich abzuholen, dass ihr sonst gebracht wird.

Heute gab es unser Lieblingsgericht: gefüllte Auberginen mit Mett, Paprika, hausgemachtem Tomatenpüree und Reis in besonderer Geschmacksnote und Konsistenz. Der natürliche Geschmack der einzelnen Zutaten wurde sehr fein abgeschmeckt. Meine Mutter lobte das Gericht während wir aßen ununterbrochen und blieb auch später dieser Meinung. Gäbe es einen Michelin-Stern für mediterrane Mittagstisch-Gerichte, wären speziell diese gefüllten Auberginen die heißesten Anwärter.

Der Eckladen bietet täglich zwei köstliche Gerichte, die man aber auch direkt dort verzehren kann. Das Feinkostgeschäft ist also gleichzeitig ein kleines Restaurant. Im Innenbereich können die Gäste gemütlich in einem Wintergarten-Vorbau sitzen. Vor der Tür sind auf beiden Seiten der Hausecke ein paar Tische und Stühle aufgebaut, die bei schönem Wetter immer gerne genutzt werden.

Bevor ich den Laden betrat, sah ich draußen zwei Best Ager mit kurzen silbergrauen Haaren nebeneinander am Tisch im Sonnenschein sitzen. Die beiden Frauen strahlten, während die Sonnenstrahlen ihre Herzen erwärmten. Ein idyllisches Bild. Ihre beiden Cappuccino Tassen als Stillleben davor.

Die eine Frau hatte ihren Kopf an die Schulter der anderen geschmiegt. Es wirkte herzerwärmend. Das nennt man wahre Zuneigung, dachte ich gleich, während ich an der Verkaufstheke stand und auf das Essen wartete.

Als ich den Laden wieder verlassen wollte, küssten sich die beiden Frauen leidenschaftlich eng umschlungen und lang anhaltend. Offensichtlich kamen sie kaum zum Kaffeetrinken, so vertieft, wie sie waren. Es lief also alles auf kalten Kaffee und heiße Liebe hinaus.

Ups, dachte ich, das ist mal eine extraordinäre Kiste – echt außergewöhnlich. Der Ladenbesitzer, der gerade wieder an einem anderen Tisch bedient hatte, muss ähnliche Gedanken gehabt haben. Er wirkte plötzlich ganz blass; der Kulturschock war ihm anzusehen. Musste die sexuelle Revolution der lesbischen Best Ager ausgerechnet mittags vor seinem Laden beginnen? Ihm fehlten die Worte.

Superman mit Installationshintergrund

Nachdem nun das Essen vom Feinkostladen an der Ecke täglich „anrollt“ und meine Mutter von dem netten Türken und seinen Kochkünsten offenbar begeistert ist, hege ich nun die berechtigte Hoffnung, dass bei meiner Mutter die nächste Festung fällt, und zwar die Hausmeister-Abwehr-Festung.

Wir hatten vor zwei Jahren für sie und ihr großes Haus einen Hausmeister engagiert. Er sollte auf „Zuruf“ kommen und meine Mutter auf diese Weise entlasten. Aber sie will lieber selbst im Dunkeln Schnee fegen. Ihres Erachtens bräuchte sie keine Hilfe, wo sie doch noch alles alleine könne. Sie benimmt sich wie ein kleines Kind. „Alleine“ war höchstwahrscheinlich ihr erstes Wort, als sie zu sprechen begann. Schade, dass ich meine Oma nicht mehr danach fragen kann.

Dann setzte meine Mutter noch einen drauf und meinte, der Hausmeister könne sowieso nichts. Gut, einen Installations-Hintergrund schien er wirklich nicht zu haben. Denn nachdem er einen Wasserhahn repariert hatte, musste doch noch einmal ein Klempner kommen und sich der Sache als Fachmann annehmen. Aber sonst machte er seine Arbeit gut.

Trotzdem ließ meine Mutter kein gutes Haar an ihm. Sie quakte weiter, dass ihr der Hausmeister nicht gefallen würde und sie ihn nicht ausstehen könne. Außerdem wäre er „lahmarschig“. Letzteres kann ich nicht beurteilen, denn meistens treffe ich ihn nicht persönlich. Bisher sah ich ihm nur einmal bei der Arbeit zu. Da ging er vor mir in die Hocke und ich war urplötzlich mit einem üppigen Maurer-Dekolleté konfrontiert. Diskret sah ich zur Seite und mich deshalb heute noch außer Stande seine Arbeitsgeschwindigkeit zu beurteilen.

Nachdem meine Mutter weiterhin bei jeder Gelegenheit betonte, dass ihr der  Hausmeister nicht gefällt, bot ich ihr an, nach einem „schönen“ Exemplar dieser Gattung Ausschau zu halten. Ich machte ihr aber keine großen Hoffnungen. Denn wenn es tatsächlich einen Hausmeister vom Typ „Superman mit Installationshintergrund“ geben sollte, würde der mit Sicherheit nicht in ihrem außergewöhnlichen Anwesen anfangen wollen. Als ich ihr das schonend beibrachte, sagte mir ihr verstehendes Lächeln:

„Die Hoffnung stirbt zuletzt!“