Auf der falschen Spur beim Zuckergipfel

Auf unserer Dänemarkrückfahrt standen wir in diesem Jahr wieder einmal im Stau, allerdings nicht wie sonst üblich auf der deutschen Seite, sondern auf dänischem Grund und Boden. Ich konnte mir also in Ruhe die rubbelige Fahrbahn-Markierung auf der Autobahn anschauen. Wenn man hier vom rechten Weg abkommt und über die Markierung fährt, wird ein komisches Geräusch erzeugt. So werden die Fahrer mehr oder weniger sanft aus ihren (Tag-)Träumen gerissen und wieder auf die „richtige Spur“ gebracht.

Wir rollten langsam vor uns hin. Im Radio lief ein Country-Song. Er gefiel mir. Während sich meine Stimmung hob, merkte ich, dass der Text dänisch war. Dann sprach der Radio-Moderator etwas. Süß! Ich mag dieses leichte Lallen; es klingt so gemütlich. Immer wieder sagte er zwischendurch Oh Joh Jo Jo Jo. Die Zeit verging und ein dänischer Schlager nach dem anderen wurde gespielt. Das Ha Li Ha Lo in diesen Liedern scheinen wir mit den Dänen gemeinsam zu haben. Zwischendurch liefen Country-Songs und ich blieb gut gelaunt.

Vor uns rollte ein schokobrauner (eher Zartbitter, nicht Vollmilch) Mercedes-Benz. Laut fachmännischer Auskunft meines Mannes ein sündhaft teurer SL Roadster. Mir fiel der Wagen auf, weil auf dem Nummernschild keine Nummern, sondern Buchstaben angebracht waren; es war eindeutig dänisch.

Wer ist in Dänemark so reich und bekannt, dass er keine Nummern auf dem Nummernschild haben muss? Mein Gehirn fing sofort an zu rattern. Ich sah Silberlocken, ja, ein älteres Ehepaar mit Silberlocken. Die Ermittlungsstelle in meinem Gehirn kam zu folgendem Ergebnis. Es müsste sich bei den beiden um das dänische Königspaar handeln. Er hatte bestimmt zu ihr gesagt: „Margarethe, Cherie (er ist nämlich Franzose) es sind Ferien, die Krone ist in der Reinigung, die Dackel sind beim Aqua-Jogging. Setz dir eine Beton-Frisur-Perücke auf und lass uns heimlich eine Spritztour machen. Dorthin, wo der Wein herkommt. Wir sausen so durch …..Die Fantasie ging mit mir durch. Als wir später an den beiden vorbeirollten, sah ich, dass es sich eindeutig nicht um das dänische Königspaar handelte. Es handelte sich auch um kein anderes europäisches Königspaar. Ich kann das beurteilen. Aus mir spricht mindestens zehn Jahre Secondhand-Boulevard-Presse-Erfahrung. Die alten Frau im Spiegel Ausgaben meiner Mutter waren wirklich höchst interessant gewesen. Dort konnte man Kurioses, Peinliches und Unglaubliches sehen und lesen – besonders zwischen den Zeilen.

Während ich noch nach rechts schaute, rollten wir langsam weiter. Ich sah einen sogenannten „lebensbejahenden“ Autofahrer. Er setzte eine Colaflasche an die Lippen und ließ die süchtig machende, braune Zucker-Koffein-Figur-Killer-Flüssigkeit durch den Hals laufen. Manche würden bei dem Anblick fragen, durch welchen Hals?

Ich hatte ein paar Tage vorher gelesen, dass ein aktueller Zuckergipfel stattfinden sollte. Der G 20 Gipfel war mir ja ein Begriff, aber von einem Zuckergipfel hatte ich bisher nichts gehört. So, so, man kann wohl nicht länger ignorieren, dass das Thema Zucker und seine Folgen weltweit sehr ernst zu nehmen ist, dachte ich. Mit Ablenkung hatte die sogenannte Lebensmittel-Industrie es bis jetzt geschafft, die Probleme, die der Zuckerkonsum mit sich bringt, zu verdrängen. Und sie wird so weitermachen, wenn sie nicht gebremst wird.

Die Strategie ist eigentlich ganz einfach: Man lässt der Presse psychologisch ausgeklügelte, ablenkende Mitteilungen zukommen. Man finanziert ergebnisorientierte Studien (Unis brauchen Geld). Man lockt die Schlankheitswilligen mit irgendwelchen „fettarmen Diäten“ und „Sportanweisungen“ auf die falsche Fährte. Ich sage nur: Suggestion.

Lobbyisten sind sich einig mit dem Hinweis, früher hätte es doch auch dicke Kinder gegeben, Übergewicht hätte doch nur etwas mit Bewegungsmangel zu tun. Es bräuchte auch nicht unbedingt jeder gleich zu wissen, dass Cola mit dem schädlicheren Glucose-Fructose-Sirup hergestellt wird. Davon muss zwar mehr verwendet werden als vom Kristallzucker, er ist  jedoch viel billiger in der Herstellung.

Angeblich haben Politiker beim Zuckergipfel von den Herstellern freiwillige Maßnahmen gefordert, also wird sich erst einmal nichts ändern, schade!

Es gibt bestimmt auch den einen oder anderen Politiker, der etwas bewegen möchte. Aber immer, wenn es einer versucht, nimmt ihn jemand mit den Worten zur Seite: „Ganz fabelhaft, mein Lieber, großartige Arbeit. Sie haben Zukunftspotenzial. Ich habe eine andere, wirtschaftlich sehr vielversprechende Aufgabe für sie. Und eins sollten sie sich unbedingt merken in der Politik:  Wir arbeiten auf WAHL-ERFOLGS-BASIS.

Apropos Wahl: Ich hatte als Kind nicht die Wahl zwischen Cola und Wasser, Pizza und Eintopf, Gummibärchen und Obst, Nuss-Nugat-Creme und Marmelade, Milchschnitten und Butterbrot, Schokoriegel und Topfkuchen. Es gab in der Regel auch „nur“ drei Mahlzeiten, und die wurden portioniert. Junge Leute mögen dazu sagen: „Die hat es aber nicht leicht gehabt in ihrer Kindheit.“ Stimmt irgendwie, aber dafür kann ich heute LEICHT-gewichtig zur Wahl-Urne gehen. Weniger LEICHT fällt mir das positive Denken. Jetzt stupst mich etwas an und sagt:
„Hast du vergessen, Liebling, grübeln war gestern.“

Pressefrei baumelt die Seele

Ich merke, dass mir das Schreiben Lebensfreude schenkt. Es lenkt mich vom ständigen Grübeln ab, wie nichts anderes. Ab und zu schafft das ein Buch. Aber wenn ich mal ein Buch finde, das mich fesselt, dann schmilzt es in meinen Händen dahin, wie Butter in der Sonne. In diesem Jahr habe ich die 52 abgelegten Frau im Spiegel-Ausgaben meiner Mutter nicht wie sonst zum Lesen mitgenommen, und es spricht alles dafür, dass ich sie zu Hause ungelesen einfach in die blaue Tonne drücken werde.

In den Jahren zuvor hatte ich den Urlaub immer dazu genutzt, neugierig sämtliche Informationen aus diesen Zeitschriften regelrecht aufzusaugen und war dadurch gedanklich in einer ganz anderen Welt und weniger bei mir selbst verhaftet. Was man da zwischen den Zeilen sehen und lesen kann ist hübsch hässlich und irre komisch, meist mehr irre als komisch.  Damit ist jetzt Schluss! Der Urlaub gehört ganz dem Seelenbaumeln und seit Neuestem auch dem Schreiben.

Heute ist es immer noch stürmisch. Das Meer ist übersät mit weiß gesäumten Wellen. Alles Grün im Vordergrund bewegt sich hin und her. Die Blätter glänzen im Sonnenschein. Eine einzelne weiße Möwe segelt am hellblauen Himmel. Über dem gegenüberliegenden Ufer unserer Bucht ist ein weißer Wolkenkranz. Sein Weiß ist am oberen Rand wie mit einem breiten Pinsel verwischt. Links sehe ich den kleinen Jachthafen, der gut geschützt in einer der vielen Einbuchtungen liegt. Dann kommen Hügel, einer mit sandfarbener steiler Abbruchkante; sie sind dunkelgrün bewaldet oder mit hell grünen Wiesen bedeckt. Hinter dem Haus vom steilen Hügel herunter zwitschern plötzlich Vögel. Es kommt mir so vor, als wollten sie sagen: „Es ist zwar stürmisch, aber wir singen dir trotzdem etwas vor, weil du es so liebst.“ Direkt vor mir liegt der steinige Strand. Abends spät gehen wir noch einmal die wenigen Schritte zum Wasser, von dem eine frische Brise herüberweht. Das Atmen fühlt sich an, als wenn gerade kühles Wasser einen schrecklichen Durst stillt.

Es wird kaum dunkel um diese Jahreszeit. Als wir zum Haus zurückgehen, entzünde ich in Gedanken ein Feuer am Strand, und zwar an einem Stapel Zeitschriften. Bevor er in Flammen aufgeht, kann ich gerade noch einen Star und seine riesige Hollywood-Villa sehen. Da überkommt mich ein wunderbares Gefühl. Ein Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit hier in der Natur vor unserem Häuschen. Und dann hoppelt ein Hase vorbei und ich spüre, meine Seele ist angekommen.