Trödelträger im Verkaufsrausch

Meine Mutter hatte sich heute wieder sehr über meinen Besuch gefreut. Wir hatten zusammen zu Mittag gegessen. Später beim Kaffee trinken griff sie zur Fernbedienung. Im Fernsehen lief noch eine Kochsendung, aber sie konnte den Beginn ihrer Lieblings-Sendung einfach nicht erwarten. Nach dem
Motto: Ein Tag ohne „Bares für Rares“ ist möglich, aber freudlos.

Wenn sie diese Sendung sieht, strahlt sie eine Freude aus, die mein Herz anrührt. Es ist ein schönes Gefühl, sie so glücklich zu sehen. Vielleicht kommt sie so langsam von ihrer Co-Abhängigkeit los. Es ist erst fünf Monate her, dass wir sie und ihren drogenkranken Enkel endlich räumlich trennen konnten. Von emotionaler Trennung kann bei ihr jedoch leider keine Rede sein. Ihre Gedanken kreisen unaufhörlich um ihn und darum, wie sie für ihn an ihr vieles Geld kommen könnte, das ich für sie verwalten muss.

Nur wenn sie gerade Bares für Rares sieht, kann sie sich entspannen. Sie fühlt sich wohl in ihrer Welt, wenn diese Trödel-Show läuft. Immer wieder fragt sie, ob ich wüsste, wo dieses Gebäude steht. Ich solle es rauskriegen und mit ihr dort hinfahren.

Eigenartig, ansonsten möchte sie grundsätzlich zu Hause bleiben. Ich frage sie jedes Mal, was sie denn verkaufen wolle. Aber verkaufen möchte sie nichts. Sie will in diese Welt eintauchen, einfach nur dabei sein. Das ist Leidenschaft – ohne Zweifel.

Die Sendung sorgt für eine angenehme Atmosphäre und wir können uns entspannt unterhalten während verkaufswillige Leute voller Hoffnung und einem Gegenstand in der Hand in ein großes Backsteingebäude spazieren, um damit Geld zu machen.

Sie werden von einem lustigen Mann mit Nickelbrille, Zwirbelbart und Glatze in Empfang genommen – eine rheinländische Frohnatur. Er sieht aus, als wäre er einem Zirkus um die Jahrhundertwende entsprungen – ich meine nicht das Millennium. Es fehlen nur der enge rot-weiß-gestreifte Ringel-Turnanzug und die Hantel.

Er stellt sich neben den passenden Experten, beugt sich vor und fragt die Leute nach ihrem Namen, woher sie ihre Kostbarkeiten hätten, was ihnen als Preis vorschwebe und was sie dann mit dem Geld vorhätten. Der zuständige Experte oder die Expertin steht hinter einer Art Tresen und begutachtet die angebotene Ware dann oft mit einer Lupe.

Voller Erwartung stehen die stolzen Besitzer davor oder daneben. Was wird festgestellt? Gold oder Blech, Edelstein oder Glas, Kunst oder Kitsch? Ist ihr Schatz begehrenswert? Dann wird sogar eine Summe genannt, die bei einem Verkauf erzielt werden könnte – auch bei eindeutigem Kitsch.

Wenn der genannte Schätzwert auch den Vorstellungen des Verkaufswilligen entspricht, zieht der lustige Mann (ohne Ringel-Turnanzug) die erhoffte Händlerkarte aus seiner Gesäßtasche und überreicht sie. Nun darf gehandelt werden. Dazu begibt sich der Trödelträger in einen anderen Raum. Dort warten gleich fünf Händler auf ihn; alle stehen hinter einem leicht gebogenen Tresen, ihr aufgeregtes Opfer in einem angemessenen Abstand davor. Auch hier wird die Ware von allen Seiten genau angeschaut und bewertet. Besteht Kaufinteresse, beginnt einer der Herrschaften mit dem ersten Gebot und die Versteigerung um einen neuen Staubfänger kommt langsam in Schwung. Der Trödel-Anbieter bemüht sich um ein Pokerface, um mehr rauszuholen. Klappt es nicht so richtig,  muss der lustige Mann noch einmal kommen, um zu vermitteln.

Ein junger gepiercter, langgliedriger Händler liebt wohl die Asymmetrie; eine Kopfhälfte hat er rasiert, die andere blondiert. Während einer kritischen Begutachtung lässt er die langen Haare über den Tresen fallen. Neben ihm steht ein kleines eckiges Männchen mit hellwachen Augen, buntem kurzärmeligem Hemd und Hosenträgern, das gerne auf Bayerisch mit Summen bietet, die mit fünfzig enden – vermutlich, weil es so zünftig klingt.

Der meistbietende Händler wartet auf den Zuschlag. Ist der Kunde mit dem Preis einverstanden oder nimmt er sein gutes Stück wieder mit? Es wird um Spannung gerungen und am Ende meistens verkauft. Der Verkäufer bekommt das Geld prompt auf dem Tresen vorgezählt. Anschließend wird er noch einmal vor der Kamera befragt, ob er mit der finanziellen Ausbeute zufrieden ist. Das war`s.

Genau so etwas würde meine Mutter eigentlich auch gern mitmachen, mit Betonung auf eigentlich. Sie würde gern Trödel kaufen, es aber nicht besitzen wollen. Sie würde gerne vieles verkaufen, kann sich jedoch von keinem Stück trennen. Genau diesen Gefühlszwiespalt bedient diese Fernsehsendung täglich. Der Ur-Tauschtrieb wird am Bildschirm befriedigt, ganz ohne Folgen und mit Sicherheit ohne Kosten. Man kann sagen, dass es sich hierbei um eine neue Definition von Safer Shopping handelt. Es steht im krassen Gegensatz zum kostspieligen Teleshopping.

Die Sendung läuft weiter. Als nächstes sind zwei sehr kompakte Schwestern um die Sechzig an der Reihe. Die eine von beiden ist einen Kopf größer als die andere. Sie erklären, dass sie im Auftrag ihrer Mutter verkaufen wollen. Daraufhin höre ich eine Stimme neben mir: „Die arme Mutter, sie hat ein großes fettes und ein kleines dickes Kind!“

Was soll ich machen, meine Mutter sagt immer, was sie denkt. Political Correctness würde von ihr selbst dann nicht berücksichtigt, wenn sie wüsste, was es bedeutet. Sie kann sehr verletzend sein; dafür könnte ich sie manchmal … und ich habe sie doch lieb. Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle.

Ich befinde mich also ebenfalls in einer Art Gefühls-Zwiespalt. Das nennt man Ambivalenz – es klingt genauso GUT, wie ich darauf verzichten könnte.

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