Ich habe seit ungefähr zehn Jahren einen Laptop auf der Küchenarbeitsplatte in der Nähe des Ceran-Kochfeldes stehen. Das ist sehr praktisch. Ich kann Mails checken und schreiben, während das Essen vor sich hinköchelt. So fühle ich mich nicht an den Herd gefesselt, sondern mit der Welt verbunden. Das fühlt sich besser an.
Seit einem Jahr liest mein Mann die Zeitung nur noch online und nimmt sich dazu meinen Laptop mit an den Frühstückstisch. So weit, so gut. Aber in unserem diesjährigen Dänemarkurlaub habe ich das Schreiben für mich entdeckt – eine Leidenschaft, die von niemandem eingeschränkt werden soll, auch nicht von nahestehenden Personen. Denn durch das Schreiben bin ich endlich bei mir selbst, weit weg von den Problemen dieser Welt und vom Grübeln oder schon wieder so nah dran, dass ich die Dinge mit viel Humor sehen kann.
Aber wie soll ich schreiben, wenn ich ständig anderweitig beschäftigt werde bzw. nicht an meine Schreibmaschine komme. Damit Sie wissen, was ich meine, beschreibe ich Ihnen mal einen typischen Tag, an dem ich regelrecht behindert werde und meiner Leidenschaft nur schwer nachkommen kann.
Los geht es natürlich am Morgen, direkt nach dem Frühstück. Mein Mann liest seine Laptop-Zeitung, sodass ich nicht mit dem Schreiben beginnen kann. Geduldig räume ich noch ein paar Sachen in der Küche auf, gehe ins Schlafzimmer und mache die Betten, komme zurück und lese in einem Gartenratgeber … Ich hätte schon einiges schreiben können. In meinem Kopf sprudeln die Gedanken.
Dann endlich, mein Mann ist mit der Zeitung durch, ich setze mich hin und greife nach meinem Laptop, aber ich hätte wahrscheinlich eher nach den Sternen greifen können. Denn genau in diesem Moment muss mein Mann noch nach der Börse und dem Fußball schauen. Ich warte, es dauert ja nicht lang. Schließlich hat er dass dann auch erledigt und schiebt mir gerade den Computer herüber, da fällt ihm ein, dass er noch nicht Wetter-online war. Mit den Worten Warte mal eben zieht er das begehrte Teil wieder zu sich zurück.
Er weiß, dass ich ein sehr geduldiger Mensch bin. Irgendwann scheint er endgültig das Gefühl zu haben, mit seiner morgendlichen Informationsaufnahme fertig zu sein und stellt den Laptop vor mich hin, während ich mir das Mousepad inklusive Mouse herüberziehe. Kaum schaue ich auf den Bildschirm, steht mein Mann hinter mir und legt seine Hand auf die Mouse. Ich spüre seinen Atem auf meinem Nacken und ein dadurch aufkommendes Gefühl in mir. Aber augenblicklich holt mich das Klicken der Mouse wieder runter. Er wollte nur noch schnell nach den Ölpreisen und den Verkehrs-Meldungen schauen, das hatte er vergessen. Ich sehe mich außerstande es ihm abzuschlagen.
Dann nimmt er mein Handy, weil seines gerade aufgeladen wird, legt es, nach der Benutzung, weit weg von mir auf ein Regal und setzt sich wieder hin, um noch einen Kaffee zu trinken. Kein Problem für mich, ich will ja nicht telefonieren, ich will NUR schreiben.
Ich logge mich ein, um an MEINE Daten zu kommen und fange an zu tippen, während mich mein Mann an interessanten Neuigkeiten teilhaben lässt. Er informiert mich über aktuelle Themen aus Politik und Gesellschaft, lokale Vorkommnisse, die Todes-Anzeigen und erzählt mir die neuesten Storys. Immer wieder fällt ihm etwas ein. Ich bin ganz Ohr, obwohl ich es hinterher oft bereue, denn ich bin nun einmal ein Sensibelchen – aber leider auch neugierig. Das nutzt mein Mann für sich. Sein ganzes Wissen möchte er mit mir teilen. Aber leider ist mein Fell nicht so dick wie seines. Die gesamte weltpolitische Lage belastet mich und bringt mich zum Grübeln, und Horror-Meldungen machen mir noch mehr zu schaffen. Wie auch immer, an diesem Morgen werde ich wieder einmal bestens informiert.
Mein Mann und ich unterhalten uns gerne und viel und das ist wertvoll und wichtig für uns beide, auch wenn mein Beitrag an der Unterhaltung meist weniger als zehn Prozent ausmacht, weil ich mich immer zurückhalte. Warum das so ist, weiß ich nicht, denn ich hätte viel zu sagen. Aber es fing schon in meiner Kindheit damit an, dass ich bei einer Unterhaltung quasi übersehen wurde, also kaum zu Wort kam – und das ist bis heute so geblieben. Ich gewöhnte mich daran. Ich sage nur: strenger Vater, ständig beratende Mutter, zwei ältere Brüder und eine schon immer eloquente kleine Schwester, in deren Beruf sich heute alles um Werbung, Texte und deren Konzeption dreht. Ich scheine nach wie vor immer mit einem Schild durch die Gegend zu laufen, auf dem in Großbuchstaben steht: ICH DARF ÜBERHÖRT WERDEN! IST EH NICHT SO WICHTIG.
Mein Mann und ich befinden uns gerade in einer wunderbaren Lebensphase, in der wir vormittags Zeit haben uns in Ruhe zu unterhalten. Ich empfinde das als absoluten Luxus. Das steht im krassen Gegensatz zu den ersten dreißig Jahren unserer Ehe, in der wir fast immer das Gefühl hatten, dass uns die Zeit davonrennt und wir „zu nichts kommen“. Jetzt habe ich für alles mehr Zeit, sogar für meine neue Schreib-Leidenschaft. Nur ohne Schreib-Gelegenheit bleibt sie auf der Strecke.
Nach unserer ausführlichen Unterhaltung am Frühstückstisch geht mein Mann nach oben in sein Arbeitszimmer. Ich lehne mich entspannt zurück, schaue auf den Bildschirm und fange an zu schreiben. Die Gedanken fließen und die Finger tun alles, um mitzuhalten. Da höre ich das Telefon, ein leises Klicken. Es ist der Klingelton, den wir meiner Mutter zugeordnet haben, damit ich ihrem Telefonterror wenigstens ein wenig entfliehen kann. Es ist angenehmer, wenn es nur klickt, statt ständig zu klingeln, bis sich der Anrufbeantworter einschaltet.
Mein Mann hört sich jetzt wohl gerade an, was sie aufspricht. Wahrscheinlich geht es wieder um das Übliche. Sie fragt nach ihrer EC-Karte, denn sie will Bargeld vom Geldautomaten holen oder ihren drogenkranken Enkel schicken, damit er das für sie erledigt. Dabei haben wir alles so eingerichtet, dass sie in ihren Läden ganz bequem bargeldlos einkaufen kann, wovon sie fleißig Gebrauch macht.
Da sich mein Mann nicht bei mir rührt, scheint es wirklich nichts Dringendes zu geben. Es klickt unaufhörlich und mir wird klar, dass meine Mutter wieder einmal in ihrer täglichen Anrufphase ist und zur Höchstform aufläuft. Durch ihre Demenz vergisst sie leider ständig, dass sie ihre Wünsche schon aufgesprochen hatte. Der Anrufbeantworter nimmt alles geduldig auf, bis er voll ist. Dann gibt er bei jedem weiteren Anruf einen entsprechenden Signalton von sich, und meine Mutter lässt von uns ab.
Ich könnte mir eine bessere Geräuschkulisse vorstellen, als dieses Telefon-Klicken, aber sie hält mich nicht vom Schreiben ab, zum Glück. Ich bin mitten in meinen Gedanken, da kommt mein Mann herunter und möchte wissen, was er mitbringen soll. Er will mit dem Fahrrad in den Ort fahren und einkaufen. Wir überlegen noch, was es zum Mittagessen geben soll und ich schreibe schnell einen Einkaufszettel. Den drücke ich ihm in die Hand und lächelnd einen Kuss auf den Mund.
Als er endlich losgefahren ist, meldet sich die Waschmaschine. Okay, denke ich und atme tief durch, gehe nach unten und beginne mit dem Aufhängen – natürlich die WÄSCHE, NICHT MICH.
(Fortsetzung folgt morgen)