Wenn Mormonen an der Strippe hängen

Als ich noch recht klein war, teilten sich zwei sehr junge amerikanische Mormonen ein möbliertes Zimmer bei uns im Haus. Als Strenggläubige durften sie keinen Alkohol trinken, ja noch nicht einmal Kaffee. Aber das Telefonieren war ihnen erlaubt und das wollten sie auch oft tun. Früher war das aber etwas ganz Spezielles und Teures, was man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Man tat es nur gelegentlich und Kinder durften es praktisch gar nicht.

Deshalb war es ein äußerst ungewohntes Bild für uns, dass einer der beiden Mormonen bereits vormittags, nur mit gestreiftem Pyjama und gestreiftem Morgenrock bekleidet, in unserem Flur an der Strippe hing. Damals gab es nämlich noch keine schnurlosen Telefone. Außerdem hatten die Apparate mit der Wählscheibe und dem angebundenen Hörer alle nur eine kurze Leine und standen deshalb bei den meisten Familien im Flur, also an einem zentralen Ort. So eben auch bei uns.

Damals kostete JEDES Gespräch Geld, also auch Telefonate innerhalb der eigenen Stadt. Deshalb sagte mein Vater den beiden Mietern auch ziemlich bald, wo es lang ging – zur nächste Telefonzelle, die auch als öffentlicher Münz-Fernsprecher bezeichnet wurde. So gewöhnten sie sich an die Preise. Trotzdem blieben sie noch recht lange bei uns.

Mein Bruder und ich bestaunten die ellenlange Unterwäsche der fremden Männer, die an der Wäscheleine neben unserer Schaukel hing. Es handelte sich dabei um Einteiler, bestehend aus langen Unterhosen und langärmeligen Unterhemden in einem Stück gearbeitet. Hinten hatten sie eine Klappe zum Aufknöpfen für das große Geschäft, was uns Kinder sehr amüsierte.

Zum Abschied schenkten die beiden Missionare unserer Familie Salz- und Pfefferstreuer, zwei Keramik-Häschen in einem kleinen geflochtenen Korb. Wir nannten sie Gastreit und Lowell nach den beiden interessanten, anders sprechenden Männern. Sie sind leider nicht mehr da. Ich hätte sie gerne als Andenken – die Hasen, nicht die Männer.

Eine Antwort auf „Wenn Mormonen an der Strippe hängen“

  1. Was aus denen wohl geworden ist – ich meine die Mormonen. Außenstehende könnten meinen, dass es bei uns wie im Taubenschlag zuging. Aber irgendwie war es ja auch so. Bei so vielen Zimmern, war ständig ein Wechsel in Sicht. Wir können jedenfalls nicht behaupten, dass wir Langeweile hatten.

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