Von mitgebrachten „Knarren“ und „geschmeidigen“ Pausen

Wenn ich meine Mutter besuche, bringe ich ihr immer Lebensmittel mit und besorge Fisch für uns zum Mittagessen. Dieses Mal hatte ich aber auch noch eine „Knarre“ von meinem Mann dabei. Nicht was Sie jetzt denken. Meine Mutter hatte sich zwar bei meinem letzten Besuch beschwert, dass der Fisch nicht nach Fisch schmecken würde – was ja eindeutig für den Fischhändler spricht – , aber das ist für mich noch kein Grund jemanden auf diese Weise zum Schweigen zu bringen.

Nein, ich brauchte den Akkuschrauber, um den Relaxsessel wieder „klapptüchtig“ zu machen. Der freundliche Servicemitarbeiter hatte mir erklärt, wie und wo ich das Ersatzteil anbringen sollte. Und das wollte ich nach dem Mittagessen auch gleich erledigen. Vorher musste ich erst einmal den Sessel auf den Kopf stellen, dann die alten Schrauben von dem defekten Relaxsessel-Teil lösen, um sie mit dem neuen Teil wieder anzubringen.

Während meiner Reparaturarbeiten erhielten die Füße meiner Mutter ein Fußbad. Dadurch hatte ich wenigstens die Gewähr, dass mir keiner ins Handwerk pfuschen konnte, zumindest nicht „handgreiflich“, denn verbal lief meine Mutter zur Hochform auf, stellte ständig die selben Fragen und wollte mich von meinem Vorhaben abbringen.

Es kam mir so vor, als würde mein Gehirn von der Dauerbefragung langsam einweichen, genauso wie die Füße meiner Mutter in der Wasserschüssel. Aber, was soll ich sagen, ich habe die Reparatur trotzdem hinbekommen.

Danach stand die Pediküre auf dem Besuchsprogramm. Obwohl ich die Füße mit einem Frotteehandtuch trocken rieb, das durch ungefähr fünfzig Jahre Vollwaschgang bretthart wie ein Reibeisen war, juchzte meine Mutter immer wieder, dass es kitzeln würde. Und jedes Mal, wenn ich dazu ansetzen wollte, die Nägel zu bearbeiten, schrie sie ängstlich auf wie ein Kind.

Zwischendurch musste sie auch noch dringend auf die Toilette, weil sich die billigen Süßigkeiten, die ihre Haushaltshilfe leider immer wieder anschleppt und die meine Mutter während der Sesselreparatur heimlich in sich reingestopft hatte, einfach nicht mit dem Fisch vertragen wollten. Das hieß für mich, dass ich die Füße mehrfach unter lautem Juchzen abtrocknen musste. 

Das Ende vom Lied: Der Stuhl lief wie geschmiert, genau wie der Durchfall meiner Mutter, und die Füße waren vom vielen harten Rubbeln samtweich wie ein Babypopo. Und das Ganze, ohne dass ich eine weiche Birne bekommen hatte, zumindest nicht dauerhaft. Oder? Ich bin mir nicht mehr sicher. Ich weiß nur: Ich bin urlaubsreif. Dänemark, ich komme!

Wenn Hindernisse zum Ziel führen

Es wurde Zeit, dass meine Mutter höhergestuft wurde, und zwar im Pflegegrad. Der Pflegedienst riet mir dringend dazu, den entsprechenden Antrag zu stellen. Das tat ich und erhielt einen Termin zur Begutachtung. Die Gutachterin des Medizinischen Dienstes wollte zwischen 8 und 10 Uhr zu meiner Mutter kommen, um sich ein Bild von ihr zu machen. Als ich um fünf vor acht eintraf, kam sie mir entgegen – also nicht meine Mutter, sondern die Gutachterin – und meinte genervt: „Die will das nicht.“

Was hatte die Dame erwartet, wenn sie nicht auf mich wartet, dachte ich nur. Natürlich gefällt meiner dementen Mutter nicht, dass eine fremde Frau in ihr Haus kommt. Für sie ist es schon unangenehm, dass mehrmals täglich jemand vom Pflegedienst kommt, selbst wenn es immer dieselbe Person wäre.

Ich stellte mich der Gutachterin vor und bat sie um einen zweiten Anlauf. Erleichtert willigte sie ein und steuerte direkt auf die Küche zu. Dort saß meine Mutter wie ein bockiges Kind mit nassem Haar am Küchentisch. Hinter ihr stand die Dame vom Pflegedienst mit dem Föhn in der Hand, vor ihr ein Frühstücksschälchen und eine Großpackung Cornflakes – das derzeitige Lieblingsfrühstück meiner Mutter. Die Tatsache, dass der Fußboden unter ihr übersäht war mit den knusprigen Flocken, ließ erahnen, wie sie drauf war.

Ich weiß nicht, wie die Pflegerin es endlich mal wieder hinbekommen hatte, meiner Mutter den “Kopf zu waschen“. Aber warum musste es ausgerechnet heute sein? Schließlich sollte der Medizinische Dienst doch den täglichen Wahnsinn erleben, oder?

Hinzu kam, dass ich es vor Kurzem geschafft hatte, meiner Mutter mit viel Zureden die Haare wenigstens im trockenen, oder sollen wir sagen fettigen Zustand, zu schneiden. Dieser Kombination war es zu verdanken, dass jetzt beim Föhnen doch tatsächlich eine Art Frisur mit seidigem Glanz zum Vorschein kam. Unter dem silbrig schimmernden Pony funkelten mich zwei Augen vorwurfsvoll an: „Hast Du die Frau bestellt?“

Ich versuchte, meiner Mutter zu erklären, dass es bei diesem Besuch nur um eine Höherstufung des Pflegegrades und damit um mehr Geld von der Pflegeversicherung ging. Aber sie hörte gar nicht zu, denn inzwischen war sie voll und ganz damit beschäftigt, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Während die Gutachterin vor ihrem Laptop saß und Fragen stellte, lief meine Mutter zur Höchstform auf. Sie könne alles alleine, zu hundert Prozent, gab sie zu Protokoll. Mir fiel die Kinnlade runter und ich schaute sie mit offenem Mund fragend an. Da wurde sie etwas nachdenklich und räumte einen Abzug ein: „Na ja, sagen wir achtzig Prozent.“ Um das noch zu untermauern, zählte sie auf, was sie so alles täte:

Sie würde täglich Treppen steigen und bräuchte kaum einen Stock oder Rollator. Sie würde auch noch selbst einholen, also einkaufen gehen. Wenn sie es mal nicht schaffte, würde sie bei Edeka anrufen und alles bestellen. Sie könne auch selbst kochen. Ich bekam schnell zu spüren, dass es keinen Zweck hatte, ihr zu widersprechen, denn das spornte sie nur noch mehr an und ließ mich wie eine Schwindlerin dastehen.

Die Gutachterin forderte sie auf, ein paar Schritte zu gehen. Ohne lange zu zögern, stand meine Mutter trotz ihres Hüftschadens, der derzeit nicht operiert werden kann, auf. Mit wild entschlossenem Blick steuerte sie auf die Küchentür zu, wo sie sich unauffällig am Türgriff festhalten konnte. Dann peilte sie ihren Relaxsessel im Wohnzimmer als Ziel an. Der war jedoch etwas weiter entfernt. Auf dem Weg dorthin registrierte sie offenbar verschiedene Hindernisse, die sie dann auch gleich nutzte. Zuerst hangelte sie sich am Esstisch entlang, dann gaben nacheinander zwei Stühle willkommene Stützen ab. Von dort aus war es nicht mehr weit zum Sessel. Zwei kurze Schritte und sie hatte es geschafft. Triumphierend ließ sie sich in den Sessel plumpsen.

Na, prima, dachte ich, wenn ich meine Mutter alleine besuche, treffe ich meistens auf einen lahmen Struwwelpeter – vom Suppenkasper ganz zu schweigen. Musste sie ausgerechnet heute einen gepflegten und mobilen Eindruck machen? Aber es kam noch besser.

Warum ihr niemand Bescheid gesagt hätte, dass heute Besuch käme, fragte sie energisch. Ich sagte ihr, dass sie in ihren Kalender schauen könne, dort wäre der Termin vermerkt. Meine Mutter schaute nach und ich bereute augenblicklich, den verfluchten Kalender erwähnt zu haben, denn an diesem Tag war zusätzlich ein Name eingetragen. Es war der Name ihres alten Klassenkameraden und sie erzählte, dass sie demnächst zum Klassentreffen gehen wolle. Autsch! – das war kontraproduktiv für das Gutachten. Die Gutachterin könnte den Eindruck gewinnen, dass sie eine gepflegte alte Dame vor sich hatte, die noch in der Lage war, an einem Klassentreffen teilzunehmen.

Meine Mutter bekommt tatsächlich noch von einer entfernten ehemaligen Klassenkameradin Einladungen zu einer Art Klassentreffen. Sie will jedoch seit Jahren nicht mehr teilnehmen, obwohl ich sie hinfahren und wieder abholen würde. Vielleicht ist es auch besser so, wenn ich noch an ein Treffen der ehemaligen Wassergymnastikgruppe denke, zu dem ich sie gefahren hatte. Damals saß meine Mutter mit einer einzigen ehemaligen Wasserratte am Tisch, die nicht nur wesentlich jünger und stark geschminkt, sondern noch dazu eine Quasselstrippe vor dem Herrn war. Sonst war niemand zu dem Treffen erschienen. Eine Art „Tee for two“ zum Abgewöhnen. Als ich meine Mutter abholen wollte, setzte ich mich als Verstärkung dazu, was den Redefluss der schillernden Pool-Nixe noch befeuerte. Ihr kunstvoll umrandetes Mundwerk stand nicht still, bis wir uns unter einem Vorwand verabschiedeten.

Ich denke, dass zu einem Klassentreffen kaum mehr Teilnehmer zu erwarten wären, und das hat folgende Gründe. Fast alle ehemaligen Mitschülerinnen und Mitschüler weilen entweder nicht mehr unter uns oder in einer Altersresidenz, wo sie in diesem Jahr ihren neunzigsten Geburtstag begehen – dass muss man jetzt aber nicht wörtlich nehmen. Im Dezember ist es bei meiner Mutter soweit. Sie plant bereits, was ich sehr begrüße, denn die Vorfreude ist bekanntlich die beste Freude.

Wer weiß, was uns erwartet in dieser Corona-Krise? Der neunzigste Geburtstag könnte auf eine Art „Dinner vor one“ hinauslaufen – mit Abweichungen natürlich. Ich sehe mich bereits als alkoholfreien Butler mit Mundschutz. A wonderful party ist was anderes. In jedem Fall wird bei uns, ähnlich wie in dem Sketch, auch immer dasselbe gefragt und geantwortet. „The same procedure as last year“ wäre es für meine Mutter allerdings nicht, denn wir hatten letztes Jahr mit der Familie gefeiert. Und das war bei Weitem nicht so lustig wie bei Miss Sophies großem Tag. Aber sehen wir es mal so: Miss Sophie, die Ärmste, hatte offensichtlich keine Familie. Meine Mutter hat immerhin vier Kinder, sieben Enkel und drei Urenkel, und es gibt die segensreiche Erfindung des Telefons.

Apropos: Täglich fragt unsere Mutter am Telefon, welchen Tag wir heute hätten. An dem besagten Prüfungstag des Medizinischen Dienstes tat es die Gutachterin. Voll ertappt ließ meine Mutter nachdenklich ihren Blick schweifen, bis er auf die Tageszeitung fiel, die vor ihr lag. Dort konnte sie, wie ein Schüler ”unauffällig“ abgucken. Super! Es schien alles ”prima“ zu laufen für sie. Um bei dieser Prüfung noch besser abzuschneiden, gab sie auf Anfrage an, dass es ihr IMMER gut ginge und sie eine eiserne Gesundheit hätte. Schmerzen? Damit hätte sie KEIN Problem. Im Geiste verabschiedete ich mich bereits vom Pflegegrad vier.

Als die Gutachterin gegangen war, fand ich die ausgeschnittene Todesanzeige des besagten Mitschülers unter dem Kalender. Das war also der Grund für den Eintrag gewesen. Zu spät! Irgendwie schien sich alles gegen eine Höherstufung verschworen zu haben.

Der ”Zwischenfall“ mit dem Medizinischen Dienst war schnell vergessen und eine angeblich verschwundene Nagelfeile rückte in den Fokus meiner Mutter. „Die hat bestimmt jemand mitgenommen,“ meinte sie, „hier gehen so viele Leute ein und aus“. Ich sagte ihr, dass sie sich nichts auf ihre alte Saphirfeile einzubilden bräuchte. Heute bevorzugt man Glasfeilen, die niemals stumpf werden. Und damit wieder Ruhe einkehrte und meine Mutter beschäftigt war, machte ich mich auf die Suche und fand das antike Teil schließlich in der Küchenschublade. Die Feile hatte eindeutig bessere Zeiten gesehen. Die Saphirsplitter hatten sich größtenteils aus dem Staub gemacht, genau wie die Gutachterin, die nun leider nicht mehr miterleben konnte, wie ihr Prüfling in sich zusammensackte und im Grunde wie ein Häufchen Elend im Sessel kauerte.

Als meiner Mutter später bewusst wurde, worum es bei dem Gutachten gegangen war, fing sie an zu weinen. Sie begriff, dass es besser gewesen wäre, sich nicht so zusammenzureißen. Ich fragte sie, wie sie das überhaupt geschafft hatte. Die Antwort entsprang ihrem Gedicht-Repertoire. Es berührte mich sehr, als sie zitierte:

Ich will, das Wort ist mächtig,

Spricht es einer ernst und still;

Die Sterne reißt‘s vom Himmel,

Das eine Wort: Ich will!

Ja, des Menschen Wille ist sein Himmelreich; und der Wille vermag Sterne vom Himmel zu reißen, aber die Pflegegrad-Erhöhung hat er zum Glück nicht verhindert, wie mir später schriftlich mitgeteilt wurde.

Ende gut – alles nicht! Oder? Wie auch immer, mit dem passenden Pflegegrad werden wir die Ur-Oma schon schaukeln.

Von Bremsspuren in der Coronakrise

Das Leben in den Zeiten von Corona scheint bei den Menschen eine starke Sehnsucht nach Normalität zu wecken. Es ist das natürliche Verlangen, alles seinen stinknormalen Gang gehen zu lassen, ohne dass es Spuren hinterlässt. Und das lässt offenbar Klopapier in ihrem Unterbewusstsein aufploppen. Anders kann ich mir den Umstand nicht erklären, dass der Klopapier-Umsatz dermaßen explodiert ist. Der Pro-Kopf-Verbrauch ist sozusagen durch die Decke gegangen. Dabei hat Klopapier gar nichts mit dem Kopf zu tun.

Wo wir uns schon gedanklich unter der Gürtellinie befinden, muss ich an meine fast neunzigjährige Mutter denken. Die Damen vom Pflegedienst hatten mir vor ein paar Tagen geraten für meine Mutter statt der Inkontinenz-Vorlagen, so genannte Inkontinenz-Pants zu besorgen. Die Vorlagen würden nicht mehr reichen, es ging immer mehr in die Hose.

Als ich die Info erhielt, hatte ich die üblichen Vorlagen allerdings schon beim Vertragshändler der Krankenkasse bestellt und dieser Firma auch schon die dafür notwendige ärztliche Verordnung geschickt. Da der Corona-Virus offenbar auch in diesem intimen Bereich seine ganz eigenen Bremsspuren hinterlässt, gab es Lieferschwierigkeiten bei den „Vorlagen“. Glück gehabt, dachte ich so bei mir, als ich zum Telefonhörer griff, um die Bestellung zu ändern

Der Vertragshändler für Medizinprodukte hat übrigens den wohlklingenden Namen Corona Medical. (Heute würden die natürlich auch einen anderen Namen wählen, aber damals hatten die ja noch keine Ahnung, was im März 2020 auf sie zukommen würde.) Sie können sich vorstellen, was bei dieser Firma momentan los ist und wie genervt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind. Weil ich nicht durchkam, hatte ich zunächst geglaubt, dass die ihre Telefonnummer geändert hätten. Ich hörte auch ständig einen völlig unbekannten Ton – also auch kein Besetztzeichen. Aber laut Google war die Telefonnummer immer noch dieselbe. Also probierte ich es wieder und wieder. Als ich endlich durchgekommen war, beeilte ich mich, meine Kundennummer durchzugeben und nach Mustern zu fragen. Ich wollte von vorne herein klar stellen, dass es sich bei MEINEM Anruf nicht um einen Corona-Krisen-Hilferuf handelte. 

Die Dame am Telefon war froh über meine einfache Nachfrage nach Artikeln, die auch noch dazu verfügbar waren. Die Lieferung ließ auch nicht lange auf sich warten und wir konnten in die Testphase übergehen. Schließlich kann ich meiner Mutter langfristig nicht irgendetwas „unterschieben“, es soll auch das Richtige sein – und die Auswahl ist groß, sozusagen eine Wissenschaft für sich; allein die Pants unterscheiden sich in Passform, Größe, Aufnahme-Kapazität und Qualität. Die Krankenkasse zahlt natürlich nur die billigste Variante und erhebt zusätzlich noch eine Zuzahlung. Aber die Qualität ist sehr wichtig; und allein, schon weil meine Mutter immer so bescheiden ist und sich sonst nichts gönnt, soll sie den Rolls Roys aus der Welt der Hygiene unter sich spüren. Darum fiel die Entscheidung federleicht.

Nun ist die Ware bestellt. Es ist allerdings zu befürchten, dass es auch bei diesem Artikel zur Zeit Lieferengpässe gibt, weil sich die Luxus-Pants in einem dieser LKWs befinden, die momentan an den Grenzen ewig im Stau stehen müssen. Auch wenn die armen LKW-Fahrer zum Teil von Soldaten mit Essen und Getränken versorgt werden, können sie einem leidtun. Und die Frage darf erlaubt sein: „Was ist, wenn die mal müssen?“

Immerhin könnte UNSER Hygieneartikel-Fahrer saugstarke „kleine und große Helfer in der Not“ verteilen. Ob die richtig sitzen, ist die zweite Frage. Aber es passt eben nicht immer alles so perfekt und im Leben geht eben immer mal was daneben.

Apropos, Hygiene … Womit wir auch wieder beim ach so aktuellen Thema Klopapier angekommen wären. Die Leute scheinen zu glauben, die Corona-Krise nur mit Bergen von Klopapier überstehen zu können. Komisch! Sie fahren kaum noch Auto, haben aber panische Angst davor, Bremsspuren zu hinterlassen. Wozu die enormen Hamsterkäufe? Wir alle sollten in dieser schweren Zeit solidarisch zusammenstehen – natürlich mit eineinhalb Metern Abstand, besser zwei. 😉

Von Zahnkillern und halbnackten Osterhasen

Bei meinem letzten Besuch hörte ich meine demente Mutter singen: „Fass‘ an Hals und zupf‘ am Bauch, fass‘ an Hals und zupf‘ am Bauch.“

Ups, dachte ich irritiert, wo soll ich zupfen? Ich fragte sie, ob ich die Pinzette holen soll. Aber sie war in ihren Gesang vertieft. „Grabbel hier mal hin, grabbel da mal hin, grabbel auch mal in die Mitte“, trällerte sie weiter. Was? Soll ich ihr vielleicht den Rücken bürsten, fragte ich mich? Meine Mutter sah meine Ratlosigkeit. „Das ist ein Lied über Instrumente“, sagte sie lachend, während die Sonne, die gerade mal wieder durch das Fenster hereinschaute, eine Zahnlücke an ihrem Oberkiefer gut sichtbar machte.

So erfuhr ich also, dass man das Cello am Hals anfassen und am Bauch zupfen und beim Klavier mal hierhin und mal dahin grabbeln soll. Dieses gewöhnungsbedürftige Lied hat übrigens noch weitere Strophen, wie ich hören konnte. „Die Geige, sie singet, sie jubelt und klinget, Die Klarinett’, die Klarinett’ macht dua dua dua gar so nett,.“ Ich freute mich darüber, meine Mutter mal wieder fröhlich singend zu erleben. Sie kannte noch alle Strophen des Liedes, in dem weitere Instrumente vorkamen. Einfach wunderbar, die Demenz war wie weggeblasen. Und ich wusste nun Bescheid, die Trompete, sie schmettert, das Horn ruht sich aus – und der Zahn ist raus …

Wie letzteres passiert war, wusste meine Mutter nicht mehr. Ich fragte mich, womit sie sich wohl den Zahn ausgebissen haben mag. War etwa der Osterhase daran Schuld? Vor den Feiertagen hatte sie sich nämlich einen großen Schokoladen-Osterhasen gekauft und auf ihre Wohnzimmer-Anrichte gestellt – ein hübscher Blickfang. Als ich ihn zwischendurch sah, musste ich zweimal hinschauen. Er stand immer noch an seinem Platz, war aber irgendwie nicht mehr wirklich dekorativ. Untenherum war der Goldhase nicht mehr golden, sondern schokoladenbraun. Alles abwärts der Gürtellinie, äh der roten Glöckchen-Halskrause war entblößt. Und beim genauen Hinsehen musste ich feststellen, dass er kein Hinterteil mehr hatte. Es war aber exakt nur soviel abgebissen, dass er noch sitzen konnte. Das nennt man Maßarbeit. Meine Mutter schämte sich, dass sie nicht widerstehen konnte und einfach hineingebissen hatte.

Aha, das war also der Übeltäter, dachte ich; aber wo war der abgebrochene Zahn? Hoffentlich ist er nicht aus Versehen im Staubsauger oder im Müll gelandet. Ich ließ meinen Blick schweifen und fand ihn schließlich. Er lag auf einer Packung Schogetten. Das muss man meiner Mutter lassen, sie hatte den Zahn dem Verursacher zugeordnet. Ihr fiel dann auch wieder ein, dass sie sich an diesen dicken harten Zartbitter-Schokoladenstücken den Zahn ausgebissen hatte. Damit war meine Ermittlungsarbeit abgeschlossen und das Thema erst einmal gegessen, genau wie der unschuldige Hase. Seine unwiderstehliche Anziehungskraft hatte ihn dahingerafft, wie zuvor die Goldfolie. Er ward nicht mehr gesehen. Ja, so kann es gehen, wenn die Versuchung in Gestalt eines Goldhasen daherkommt. 

Die Zahnlücke könne man vielleicht nicht mehr sehen, wenn sie sich einen Bart wachsen ließe, überlegte meine Mutter laut, aber dann würde sie aussehen wie ein Affe, befürchtete sie. Das wollte sie dann doch nicht. Auch ich hielt eine Gebiss-Reparatur für sinnvoller und verwahrte den abgebrochenen Zahn an einem sicheren Ort. Ich fixierte ihn mit Tesafilm seitlich am Arzneischränkchen, damit ich ihn nicht ein zweites Mal suchen musste.

Meine Mutter liebt Liedertexte, Gedichte, Zitate und Sprüche. Damit bestreitet sie inzwischen einen Großteil ihrer Konversation. Eine Ihrer Devisen ist »Hilf dir selbst, so hilft dir Gott«. Eine andere lautet »Kann nicht liegt auf dem Friedhof, will nicht daneben«. Und meine Mutter will! Außerdem ist sie fest davon überzeugt, dass sie alles alleine kann. Das ist eine sehr anstrengende Kombination. Sie glaubt voll den Durchblick zu haben und trennt sogar den Müll. Nennen wir es abstrakte Mülltrennung. Am Tag vor der Müllabfuhr ziehe ich mir dann regelmäßig Einmal-Handschuhe über und sortiere um, bis alles in den vorschriftsmäßigen Gefäßen liegt. Aber zurück zum eigentlichen Thema.

Nun mussten wir uns erst einmal auf die Suche nach dem Zweit-Gebiss machen, damit ich das angeschlagene Teil zum Zahnarzt bringen konnte. Das Archivieren von Dingen gehörte noch nie zu den Stärken meiner Mutter. Ich musste den ganzen Kleiderschrank umkrempeln bis ich endlich die dritten, vierten oder fünften Zähne fand. Zum Glück fing ich mit dem richtigen Schrank an, sonst hätte die Aktion bestimmt noch zwei Stunden länger gedauert. Was ich noch alles zum Vorschein beförderte, ist eine andere Geschichte.

Das Gebiss, dass ich nun in den Händen hielt, bekam sie vor fünf Jahren und ist das jüngste von allen. Damals hatte sie es aber abgelehnt und lieber weiterhin das Vorgängermodell getragen, weil es angeblich besser saß. An diesem Tag war sie aber froh über die Ersatz-Beißerchen aus ihrem Schrank, denn sie wollte nicht ohne Zähne im Mund dastehen, während ihr Lieblings-Gebiss repariert wird. So tauschte sie ihre obere Kauleiste bereitwillig aus. Auf diese Weise kam wenigstens das Oberteil des neuen Gebisses endlich einmal zum Einsatz, wenn auch nur für einen Tag.

Nun lag aber noch das Unterteil des neueren Gebisses vor meiner Mutter auf dem Esstisch. Und das ließ ihr keine Ruhe. Ununterbrochen probierte sie im Wechsel das neue und das alte Unterteil hin und her. Das eine Unterteil passte nicht zu dem frisch eingesetzten Oberteil und das andere Unterteil passte nicht mehr auf ihren Unterkiefer. Bevor wir beide völlig durcheinander kamen, ließ ich das Teil, dass nicht zum Unterkiefer passte, also das neueste Gebissunterteil verschwinden

Vom Suchen und Aufräumen habe ich inzwischen wirklich genug, da mein Mann und ich gerade unseren Dachboden entrümpelt haben. Ich erzählte meiner Mutter, dass wir zwei riesige alte Korbflaschen, die zur Weinherstellung dienen, gefunden hätten. Sofort war sie Feuer und Flamme und meinte, dass wir die doch an einen Weinhändler verkaufen könnten. „Du bräuchtest nur mal sagen, dass du die besitzt. Aber nicht verraten, dass du sie loswerden willst“, riet sie mir fast schon verschwörerisch. Als erfahrene Flohmarkt-Besucherin wusste sie noch, wie man Desinteresse vortäuscht. „Du musst ganz cool sein. Das musst du noch lernen.“

Ja, dachte ich, und wir alle sollten lernen uns nicht die Zähne auszubeißen. Der eine beißt sie sich an den enormen Problemen dieser Welt aus, der andere an enormen Schokoladenstücken. Die Probleme dieser Welt kann ich nicht lösen, aber ich kann meiner Mutter die passende Schokolade kaufen, damit nicht bald der nächste Zahn abbricht. Nun hat sie dünne Täfelchen. Sicher ist sicher.

Nur der Zahn der Zeit bricht niemals ab – auch mit Schogetten ist nichts zu machen. Er nagt weiter und lässt sich nicht aufhalten. Deshalb freut Euch des Lebens, Leute, solange es geht – und singt und lacht, auch wenn es mal durch die Zahnlücke pfeift!

Mit Hausschuhen aufs Siegertreppchen

Es war mal wieder so weit. Wir hatten den ersten Mittwoch im Monat und um fünfzehn Uhr würde gegenüber die gesellige Kaffee-Runde beim Frauenbund beginnen. Bereits zwanzig Minuten vorher war meine Mutter nicht mehr zu halten. Sie ist schon immer bekannt für ihr frühes Eintreffen, was Gastgeber sehr nervös machen kann. Zum Glück hatte meine Mutter bereits ihren neuen roten Pullover an, denn mit Umziehen oder Haare kämmen darf man ihr in der „Hektik“ nicht kommen.

Da sie nur die Straße überqueren muss, zieht sie selbst bei frostigen Temperaturen grundsätzlich keine Jacke an. Und diesmal setzte sie noch einen drauf, indem sie mit ihren Hausschuhen loszog. Sie war nicht davon abzubringen, obwohl ich ihre Halbschuhe schon bereitgestellt hatte. Nein, es mussten die Hausschuhe sein. Okay, es sind Birkenstocksandalen, aber trotzdem.

Als meine Schwester ihr solche vor dreißig Jahren schenkte, lehnte sie diese kategorisch ab, um sie dann letztlich doch zu tragen. Immer nach dem Motto: Man darf doch nichts umkommen lassen, besonders wenn es so teuer ist. Und mit solchen lieb gewonnenen Pantoletten startete meine Mutter nun durch.

Ich bot ihr an, sie über die Straße zu begleiten, aber wie immer vergebens. So blieb ich an der Haustür stehen und sah ihr nach. Am Eingangsbereich des Frauenbundes, der auf der anderen Straßenseite liegt, war gerade eine andere Teilnehmerin angekommen. Auch sie bot rufend ihre Hilfe an. Aber meine Mutter lehnte ab; sie war mal wieder fest entschlossen zu demonstrieren, wie selbstständig sie ist. Zielstrebig schob sie ihren Rollator die Einfahrt hoch und steuerte zielstrebig die Straße an, während ein Auto nahte. Was hat sie vor, dachte ich? Es verschlug mir den Atem, als ich sah, was dann geschah:

Die Außenseiterin im roten Trikot setzt ihren Weg zur Straße unbeirrt fort. Überraschend legt sie mit ihrer Gehhilfe noch an Tempo zu. Wird sie es halten können? Auch der Autofahrer lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und hält konstant seine Geschwindigkeit. Ganz deutlich zeichnet sich ein Zweikampf ab. Wer wird sich durchsetzen? Der Rollator geht klar in Führung und hat den Gehweg schon fast überquert. Beide Kontrahenten scheinen direkt auf einen Punkt zuzusteuern. Aber auch der Fahrzeugführer signalisiert Entschlossenheit. Die Spannung steigt. Dann doch ein kurzes Zögern des Mannes hinter dem Steuer. Kann die Rollatorfahrerin diese Chance für sich nutzen und ihren Vorsprung ausbauen? Die Spannung steigt. Das Duell läuft auf eine knappe Entscheidung in letzter Sekunde hinaus. Und da, gerade noch rechtzeitig, gelingt es der Seniorin den Rollator ruckartig auf die Fahrbahn zu puschen. Diese geschickte Strategie zwingt den Mercedes-Piloten endgültig zum Abbremsen. Die Achtundachtzigjährige kann sich souverän behaupten und entscheidet so die Zitterpartie für sich. Der Autofahrer ist damit aus dem Rennen. Mutig hat sich die Dame in Rot den Weg zum Gesamtsieg freigekämpft und sprintet nun in die Endphase.

Der Rollator holpert mit geradezu atemberaubendem Tempo vor dem stehenden Tourenwagen schnurgerade über das Kopfsteinpflaster – eine beeindruckende Performance. Auf der anderen Straßenseite manövriert die Siegerin ihr Vehikel geschickt zwischen parkenden Autos hindurch bis zur letzten Hürde, dem Bordstein. Doch was passiert jetzt? Statt den Rollator leicht anzukippen, damit die Vorderräder schon mal auf dem Gehsteig sind und sie den Rest leicht nachschieben kann, hebt sie die komplette Gehhilfe mit einem Ruck auf den Bürgersteig. Unglaublich, was uns hier geboten wird. Ein solcher Kraftakt gibt natürlich Extrapunkte in der Gesamtwertung. Diese Frau ist nicht zu bremsen, selbst mit Hausschuhen – für die allerdings Abzüge in der B-Note zu erwarten sind. Alles in allem ein knapper, aber verdienter Sieg durch perfektes Timing und vollen Körpereinsatz……….

Als meine normale Atmung wieder einsetzte, fiel mir ein, dass ich nicht Sportreporterin war, sondern genervte Tochter, die ihrer Mutter eigentlich den Rollator wegnehmen sollte. Der Autofahrer fuhr kopfschüttelnd weiter. Und ich machte dasselbe, als ich kurze Zeit später nach Hause fuhr. Mir wollte das Ganze einfach nicht aus dem Kopf gehen, und ich hoffte inständig, dass mir nicht mal so eine hyperaktive Oma vors Auto läuft. Was macht man, wenn man die Person vorher nicht sehen kann, weil sie z. B. zwischen parkenden Autos hervorprescht? Ups, genau so sieht der Rückweg meiner Mutter aus. Schreck lass nach.

Als ich noch nicht lange zu Hause war, rief meine Mutter schon an. Ich war einerseits erleichtert, dass sie den Rückweg offenbar heil überstanden hatte, aber andererseits verwundert, dass sie schon so früh wieder nach Hause gehoppelt war. Dann kam auch schon die Begründung. Sie hätte es drüben nicht lange ausgehalten, meinte sie.  „Die atmen alle, dann bekomme ich keine Luft „.

Ja, so ist das nun mal. Wo viele Menschen sind, wird auch viel geatmet. Das lässt sich wohl kaum vermeiden. Und beim Ausatmen entsteht sogenannte „schlechte Luft“, die alles Mögliche enthält. Inzwischen meint man, dass Kerzen und Menschen mehr Stickoxide produzieren als Autos. In einem Straßen-Café  an einer viel befahrenen Straße zu sitzen ist angeblich weniger gesundheitsschädlich als bei Kerzenschein an einer Adventsfeier teilzunehmen. Deshalb sollte wohl jeder Teilnahme an einer Adventsfeier eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung vorhergehen, besonders wenn es sich um den vierten Advent handelt.

Aber inzwischen gibt es ja LED-Kerzen und LED-Teelichte, die sogar flackern, wie man es von echten Kerzen kennt. Ich habe es damit probiert, also mit den LED-Produkten. Okay, diese künstlichen Kerzen kann man teilweise ganz gut einsetzen, aber eine Weihnachtspyramide bringen sie nicht in Bewegung, höchstens mit einem zusätzlichen Motor. Und darauf verzichte ich gerne. Es geht einfach nichts über die Atmosphäre, die warmer Kerzenschein herbeizaubern kann – er ist bisher unnachahmlich.

In meiner Kindheit erstrahlte sogar noch unser Tannenbaum im echten Kerzenschein – und wir hatten in meinem Elternhaus hohe Decken. Sie müssen sich vorstellen, wie das wirkte, wenn ein dreieinhalb Meter hoher Baum brannte, also nicht der Baum, sondern die unzähligen Kerzen an seinen Zweigen. Dann wurden Heilig Abend zusätzlich auch noch alle Kerzenleuchter bestückt und in Betrieb genommen. Die festliche Stimmung war im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. Vor freudiger Erregung spürten wir Kinder gar nicht, dass wir unter Einwirkung von Stickoxiden und bei akutem Sauerstoffmangel unsere Geschenke auspackten, die dafür allerdings frei von Elektrosmog waren. Vielleicht halten Sie mich für verrückt, aber ich denke, ich werde es weiterhin in der Adventszeit richtig krachen bzw. brennen lassen. Ich möchte mir wenigstens stundenweise ein Stück von dieser wunderbaren Atmosphäre meiner Kindheit zurückholen. Aber bis dahin haben wir noch ein paar Monate Zeit. Nun stehen keine Kerzen im Fokus, sondern Eier, also nicht die belasteten, sondern die versteckten. In diesem Sinne:
Frohe Ostern!

Wenn Truthahnhälse in Wallung kommen

Bei meinem letzten Besuch saßen meine demente Mutter und ich im Wohnzimmer, und wir „unterhielten“ uns. Das muss man sich folgendermaßen vorstellen: Sie fragte, ich antwortete, wie bei einem Frage- und Antwort-Kartenspiel. Der Unterschied ist nur, dass es bei uns keine Karten gibt und es nicht wirklich Spaß bringt. Gäbe es Fragekarten, wären es nur sehr wenige. Da würde selbst das obligatorische Vertauschen der Antworten schnell langweilig werden. So ist das nun mal, wenn jemand in kurzen Abständen immer dieselben Fragen stellt.

Um abzulenken und ein wenig Pep in den Nachmittag zu bringen, erzählte ich meiner Mutter zwischendurch die eine oder andere „Neuigkeit“. Weil sie sofort alles wieder vergisst, ist für sie ja alles mehr oder weniger neu. Apropos: Unsere Öffentlich Rechtlichen Fernsehanstalten sollten bei ihrer Programmgestaltung unbedingt berücksichtigen, dass nicht alle ihre Zuschauer dement sind – und blöd sind sie schon gar nicht.

Während unserer Unterhaltung, fiel mein Blick auf ein paar Barthaare am Kinn meiner Mutter, die im Gegenlicht besonders deutlich sichtbar waren und immer dann in Bewegung gerieten, wenn sie sprach. Diese Haare wachsen bekanntlich nicht nur um den Mund herum, sondern auch am Hals und Doppelkinn, sofern vorhanden. Auch meine Mutter verfügt über ein solches Zusatzpolster, das allerdings nicht quer und prall am Hals sitzt, wie bei den meisten Menschen, sondern eher längs locker herunterhängt. Das nennt sich ganz offiziell Truthahnhals, und da sah ich Handlungsbedarf. Nicht was Sie jetzt denken. Für schönheitschirurgische Eingriffe ist bei meiner Mutter der Zug längst abgefahren.

By the way, warum nennt man das eigentlich „Schönheits“-Chirurgie? Wenn ich die einschlägigen Klatsch- und Tratschzeitschriften durchblättere, habe ich noch nie bemerkt, dass jemand nach einer solchen Operation schöner aussah. Oder zeigen die dort nur die „Kunst“fehler?

Für meine Mutter kamen solche Eingriffe noch nie infrage. Ich kenne keinen Menschen, der weniger eitel ist als sie. Aber lange helle Ziegenbarthaare am Truthahnhals? Da hört sogar bei ihr der Spaß bzw. die Pflegeverweigerung auf. Und so durfte ich, mit einer Pinzette bewaffnet, die unliebsamen Borsten jagen. Zumindest versuchte ich es. Denn immer, wenn ich zum Zupfen ansetzte, fing der Truthahnhals an zu beben, weil meine Mutter fürchterlich lachen musste. Dann ging das Beben in Vibration über. Jedes Mal, wenn ich die Pinzette wieder in Position brachte, gab es ein Nachbeben. Schließlich ließ auch ich meinem Lachen freien Lauf. Das Zupfen konnte ich erst einmal vergessen.

Worüber wir lachten? Es war zur Abwechselung eine wirklich neue Geschichte, die ich meiner Mutter beim Frage- und Antwortspiel erzählt hatte. Ich mag es kaum sagen. Ich berichtete ihr von einem älteren Herrn, der fast rund um die Uhr einen Nachrichtensender im Fernsehen schaut. Politik scheint seine Leidenschaft zu sein. Der Sender heißt Tagesschau 24.

Meine Mutter fand das interessant und wollte wissen, was er denn sonst so täte. „Pinkeln“ hörte ich mich sagen, woraufhin wir beide in Gelächter ausbrachen. „Und ab und zu geht was in die Hose, nicht nur in der Politik“, setzte ich lachend hinzu. Wir prusteten los und taten es auch während der Zupfaktion immer wieder. Der Tuthahnhals zuckte jedes Mal bevor er vom Beben ins Vibrieren überging. Es war köstlich!

Der ältere Herr möge mir verzeihen. Wir wollten uns nicht über ihn lustig machen. Aber das gemeinsame Lachen mit meiner Mutter tut so gut! Solche unbeschwerten Lichtblicke gibt es in unserer Betreuungskiste ohnehin viel zu selten. Da nutze ich jede Gelegenheit, den Truthahnhals in Wallung zu bringen.

Später wurde mir klar: Der alte Mann hat mindestens zwei Dinge mit meiner Mutter gemeinsam, eine schwache Blase und einen Fernseher, in den er ständig guckt. Das machte diese doppeldeutige Geschichte lustig und besonders reizvoll für uns. Es ist immer ein komisches Gefühl, wenn man auf jemanden stößt, der noch schlimmer ist als man selbst – in welcher Beziehung auch immer. Unterbewusst freut man sich, ohne darüber nachzudenken, dass einem gerade ein Spiegel vorgehalten wird. Aber das menschliche Auge sieht gern von sich auf andere, nicht auf sich selbst.

Als ich mich auf den Heimweg machen wollte, fragte mich meine Mutter mal wieder, wie alt sie jetzt eigentlich sei. Aber diesmal beantwortete sie sich die Frage selbst, noch bevor ich etwas sagen konnte, und zwar mit einem Lied. Fröhlich sang sie einen bekannten Udo-Jürgens-Song mit abgewandeltem Text: „Mit achtundachtzig Jahren, da fängt das Leben an, mit achtundachtzig Jahren, da hat man Spaß daran …“

Ja, unsere Mutter möchte, so wie ihr Onkel Wilhelm einhundertundvier Jahre alt werden. Da kann ich nur sagen: Besonders jemand, der die Hundert anpeilt, sollte in seinem Leben immer selbst für gute Stimmung sorgen, also für so genannte Good Vibrations! Geht übrigens auch ohne Truthahnhals, denn solche Schwingungen sind unsichtbar; sie lassen sich nur spüren.

Und eines steht fest: Sie machen das Leben erst lebenswert, oder?

Jetzt klickt’s beim Drücken

Meine Mutter hat jetzt eine neue Smart-Easy-Learning Fernseh-Fernbedienung für Senioren. Easy-Learning heißt, dass Funktionen von der alten Fernbedienung übernommen werden. Man bestimmt, was sie lernen soll, also die Fernbedienung, nicht meine Mutter. Da wären ohnehin Hopfen und Malz verloren.

So habe ich dem neuen Gerät also „gezeigt“, was es von der alten Fernbedienung übernehmen soll, also alles, was meine Mutter braucht: die Sender ARD, ZDF, NDR, die Laut- und Leisefunktion und das Ausschalten. Es ist wirklich ganz einfach, wenn man sich die Gebrauchsanweisung vorher in Ruhe durchgelesen hat. Deshalb hatte ich das auch bei uns zu Hause getan und sogar mit unserer Fernbedienung geübt, damit ich die „Programmierung“ beherrsche. Nicht, dass ich grundsätzlich ungeschickt oder schwer von Begriff wäre, aber mir war klar, dass ich es vorher drauf haben musste, bevor meine Mutter ständig dazwischen fragen würde. Meine Erfahrung hat mich nun einmal gelehrt: Sich in Gegenwart meiner Mutter zu konzentrieren, ist ungefähr genauso entspannt möglich, wie eine Banane im Affenkäfig zu essen.

Dank meiner Vorarbeit lief alles problemlos und die Fernbedienung war kurz vor fünfzehn Uhr bereit für ihren ersten Einsatz – also pünktlich zur Lieblingssendung meiner Mutter, die Trödel-Show Bares für Rares. Ich musste nur noch schnell die Augentropfen geben und die Brille meiner Mutter putzen. Dann reichte ich ihr die Fernbedienung und ließ sie das zweite Programm anschalten. Perfekt! Die großen Tasten der überschaubaren Fernbedienung sind gut sichtbar und klicken sogar beim Drücken. Für Senioren wirklich viel besser geeignet als die vielen winzigen weichen Gummitasten auf der alten Fernbedienung. Der erste Versuch klappte auf Anhieb. Also kochte ich Kaffee und wir aßen ein Stück Kuchen. Soweit so gut.

Fazit der Kaffeestunde: Der Trödelverkauf im Zweiten lief wie am Schnürchen, die Fernbedienung war voll zufriedenstellend, der Kuchen nicht, jedenfalls für meine Mutter. „Du hättest lieber Butterkuchen kaufen sollen“, meckerte sie. Da sie aber grundsätzlich über den Kuchen meckert, egal wie gut oder schlecht er auch sein mag, kann man trotzdem von einem sehr befriedigenden Gesamtergebnis dieses Nachmittags sprechen.

Warum ich überhaupt Kuchen kaufe? Sie verlangt grundsätzlich danach und das Meckern darüber gibt ihr ein wichtiges Gefühl der Kompetenz, denke ich.

Seitdem steht das Teil im Fokus – die Fernbedienung, nicht der Kuchen. Was sie mit dem neuen Handy solle, beschwert sie sich während ihrer ständigen Anrufe. Ich sage ihr jedes Mal, dass das eine neue Fernbedienung für ihren Fernseher ist. Worauf sie böse entgegnet, dass sie keine neue bräuchte, weil sie doch eine hätte. Theoretisch ja, denke ich dann erleichtert und freue mich, dass ich das alte Modell gleich mitgenommen habe.

Auch erinnere ich sie ständig daran, dass sie doch immer mal Probleme beim Ausschalten hatte oder sie sogar schon bei dem Bezahl-Sender Netflix gelandet war. Und so etwas könne passieren, wenn man so viele Tasten auf seiner Fernbedienung hätte. Für ungefähr dreißig Sekunden ist sie dann zufrieden, bis sie auf der Fernbedienung den Schriftzug easy learning liest. Dann werde ich regelmäßig gefragt: „Ist das eine Fernbedienung für Doofe?“ Am liebsten würde ich dann sagen: Nein, es ist eine Fernbedienung für nervige Omas und ihre verzweifelten erklärungsmüden Angehörigen, die damit vom Erschießen abgehalten werden.“ 

Aber anstatt mir die Kugel zu geben, flöte ich in den Hörer: „Die ist für Hotels, damit die Gäste nicht immer alles verstellen.“ Das leuchtet ihr dann ein und sie fühlt sich gut damit – jedenfalls für ungefähr dreißig Sekunden. Und dann beginnt das Gespräch wieder von vorne. Wenn ich keinen Themenwechsel hinbekomme.

Einmal rief sie an, um zu sagen, dass die neue Fernbedienung aber auch ein Handy wäre. Mit diesem Smart hätte sie schon telefoniert. Mit wem sie gesprochen hatte, wusste sie nicht mehr. Das war sicher ein traumhaftes Gespräch, dachte ich. Widersprach ihr aber nicht.

Gestern habe ich als Selbstschutzmaßnahme einen Aufkleber über den Schriftzug smart easy learning geklebt. Dort steht jetzt TV-Fernbedienung. Aha, sagte sie, telefonieren kann ich also nicht damit?“ Woraufhin ich sagte, dass das ja auch nicht notwendig wäre, weil sie bereits fünf Telefone hätte, zwei in der Küche, eines im Wohnzimmer, eines im Schlafzimmer und ein Handy im Strumpf mit Kordel zum Umhängen; das dürfte wohl genügen. Da konnte sie mir nur beipflichten. Das war zur Abwechselung mal ein schönes Gefühl für mich.

Dann träumte ich von einer Fernbedienung, mit der man meine Mutter bedienen könnte. Es gäbe eine Reset-Taste und ein Easy-Learning-Programm…. Aber dann wurde mir bewusst, was das bedeutet: So was nennt man künstliche Intelligenz. Autsch! Künstliche Intelligenz für Menschen? Nein danke! Der reinste Albtraum! Dann sollten die Menschen lieber so bleiben, wie sie sind. Und ich mache so weiter, wie bisher in meinem Leben. Auch wenn das für mich manchmal so angenehm ist, wie einen Besen zu fressen im Käfig voller Narren.

Der Himmel kann warten

Neulich spät abends rief meine Mutter verzweifelt bei uns an. Ihr Fernseher würde sich nicht mehr ausschalten lassen. Und auf dem Bildschirm würde das Wort Netflix stehen. Nachdem ich ihr vergebens Instruktionen gegeben hatte, wie sie den Fernseher wieder zum Laufen bekommen würde, schlug ich vor, dass sie ihren Mieter um Hilfe bitten sollte. Das scheint geklappt zu haben. Aber das ist natürlich keine Dauerlösung. Ich kann ihm unmöglich zumuten, dass er womöglich im Fünfminutentakt zu meiner Mutter runtergeht. Schließlich hat er noch ein eigenes Leben – auch jenseits vom Fernsehen.
 
Deshalb habe ich meiner Mutter jetzt eine Senioren-Fernbedienung Modell Oma und Opa bestellt. Netflix-Tasten gibt es da keine und ich denke, damit wird sie klarkommen.

Falls es auch mit diesem Modell eines Tages schwierig werden sollte, hoffen wir auf eine Weiterentwicklung der Fernbedienungen. Ich denke an ein Senioren-Modell mit der Bezeichnung Uroma und Uropa neunzig plus: An, Aus, Eins, Zwei, Drei, fertig Schluss. Alles andere könnten die Angehörigen auf Zuruf aus der Ferne mit einer App steuern. Das wär’s doch!

Am folgenden Samstag gegen 20:30 Uhr rief meine Mutter an, um zu sagen, dass sie den Fernseher ausgeschaltet hätte. Es gäbe überhaupt nichts. Im ersten Sport und im Zweiten einen ganz schrecklichen Krimi. Früher wären die Krimis viel besser gewesen, „mit schönen Morden“.

Upps! Schöne Morde? Wie auch immer, ich war erst mal froh, dass meine Mutter in dem Moment wieder mit ihrer Fernbedienung klar kam. Vor allem mit dem Ausschaltknopf. Dann warf ich einen Blick in die TV-Zeitung. Die Fotos des aktuellen Programms zeigten einen Skiläufer, böse dreinschauende Ermittler und Promis in einer Quiz-Show. Ich dachte nur, wenn das das Angebot des öffentlich-rechtlichen Fernsehens am Samstag zur besten Sendezeit ist, sollte ich schleunigst den neuen Handsender besorgen. Denn es könnte jederzeit wieder passieren, dass unsere Mutter den Ausschaltknopf bei ihrer alten Fernbedienung nicht findet. Und das kann sie sich bei DEM Fernsehprogramm nicht leisten.

Warum gibt es eigentlich keine Streaming-Dienste für Senioren 80+? Fernsehen was gefällt. Zum Beispiel Märchen. Ich meine natürlich nicht solche Märchen, die uns von Politikern erzählt werden.

Altersgerechtes Fernsehen mit Inkontinenz-Pausen präsentiert von Rheumasalben- und Abführmittel-Herstellern. Unaufregend, auch geeignet für den kleinen Schlummer zwischendurch. Fernsehen mit Senioren-Spaß-Faktor. Das wär´s doch!

Dieser Streaming-Dienst könnte sich zum Beispiel nennen: Granny Sky Ticket.  Aber nicht, dass das falsch verstanden wird: The Heaven can wait!

Was Angela Merkel und meine Mutter gemeinsam haben

Bei meinem letzten Besuch hatte ich meiner Mutter ihre vier Hosen zurückgebracht, die ich für sie frisch gewaschenen hatte. Die beiden neueren Exemplare sind eine Konfektionsgröße größer, weil die alten Hosen einfach zu eng geworden waren. Meine Mutter hatte zugenommen, so viel stand fest. Man kann sich kaum noch vorstellen, dass sie nach ihrem Krankenhaus- und Reha-Aufenthalt vor fünf Jahren nur noch Größe 38 hatte und jetzt wieder 46 trägt. Im Speiseraum der Reha-Klinik hatte sie sich als renitenter Suppenkasper in gewisser Weise einen Namen gemacht. Das Essen schmeckte ihr dort nie und sie dachte nur an das eine: „Ich will hier raus!“

Im Laufe der Zeit ist sie um mindestens drei Konfektionsgrößen gewachsen – natürlich nur in die Breite. Ansonsten ist sie eher geschrumpft. Deshalb hatte ich die neue Hose nach der Wäsche kürzen müssen, und das, obwohl ich extra eine Kurzgröße gekauft hatte!

Nun sollte meine Mutter also eine frische Hose anziehen. Zuerst zog sie die älteste an, die sie kaum schließen konnte und die trotz Komfortbund mit Gummizug sehr eng in der Taille sitzt. Dann zog sie die Hose wieder aus und probierte die neuere an. Aber die war ihrer Meinung nach wiederum viel zu groß, obwohl sie am Bauch genau richtig saß. Ich konnte sie auch nicht umstimmen. „Die Hosenbeine sind viel zu weit“, stellte sie fest. Und damit wollte sie die Diskussion beenden.

„Ja, wenn der Umfang der Beine nicht mit dem Umfang des Bauches mit wächst, sieht es eben so aus“, konterte ich und zeigte ihr ein Foto von der Bundeskanzlerin aus der aktuellen Tageszeitung. Da saß die Hose ganz genau so wie bei meiner Mutter. „Wenn es dich beruhigt“, sagte ich ihr, „die Bundeskanzlerin ist mit mehr Bauchumfang und weiteren Hosenbeinen überall in der Welt unterwegs.“

Die Antwort war klar. Nein, so wolle sie auf keinen Fall herumlaufen. Also zog sie die neue Hose wieder aus und die alte wieder an. Welch eine „Überraschung“, die ging sehr schwer zu. Ich fragte sie, ob sie vielleicht eine Zange benötigte, bekam aber keine Antwort. Während ich bei der einen Hose den abgesprungenen Knopf annähte und den Saum ausbesserte, probierte sie im ständigen Wechsel die beiden verschiedenen Hosen an. Gymnastische Übungen sind nichts dagegen. Aufstehen, Hose runterziehen, hinsetzen, ein Bein ausstrecken, wieder anwinkeln, das andere Bein ausstrecken, wieder anwinkeln, die Hose zur Seite legen, die andere Hose in die richtige Position bringen, ein Bein ausstrecken, wieder anwinkeln, das andere Bein ausstrecken, wieder anwinkeln, aufstehen, Hose hochziehen, hinsetzen, aufstehen, Hose runterziehen, Hinsetzen, Bein ausstrecken…….. So ging es eine Weile.

Es nützte auch nichts, wenn ich ihr sagte, dass sie schon mehrmals hin und her probiert hätte. Sie solle sich doch einfach für eine Hose entscheiden. Es gäbe nun mal keine Zwischengröße. Sie könne ruhig mit der größeren von beiden zum Frauenbund-Kaffeetrinken rüber gehen. Was sie dann schließlich auch tat.

Während sie drüben war, kümmerte ich mich noch um den Einkauf und die Mülleimer, in denen ich einiges verschwinden ließ, denn am folgenden Tag war Müllabfuhr. Vorher hatte ich mal wieder heimlich den Kühlschrank-Thermostat höher gedreht. Das steht ganz oben auf meiner Check-Liste. Meine Mutter ist nämlich der Ansicht, dass sie beim Kühlschrank Strom sparen und den Drehschalter auf die niedrigste Stufe einstellen müsse. So etwas hat natürlich Auswirkungen auf die Frische der Lebensmittel und auf den Wohlfühlfaktor der Salmonellen und Schimmelpilze. Während die Lebensmittel wieder runterkühlten, fuhr ich in der Hoffnung nach Hause, dass meine Mutter endlich auch das Stromsparen vergisst. Dann hätte der Gedächtnisschwund wenigsten mal einen positiven Effekt. Aber eines mussten wir im Laufe der letzten Jahre mit unserer Mutter feststellen: Es ist kein Verlass auf die Demenz!

Neue Herrenkollektion: rosa Unterwäsche

Meine Mutter war mal wieder der Ansicht, dass sie kein Waschpulver hätte, was sie mir telefonisch mitteilte. Aber ich wusste es besser und versprach, bei meinem nächsten Besuch im Keller danach zu schauen. Und, was soll ich sagen, dort zählte ich ELF Kartons Vollwaschmittel und mindestens doppelt so viele Packungen mit Pulver und Tabs für den Geschirrspüler.

Auch an Küchenrollen und Toilettenpapier mangelte es nicht. Aber in diesem Punkt, war ich am Telefon darauf hereingefallen und hatte beides mitgebracht.

Damit in Zukunft immer Küchenrollen griffbereit sind, habe ich mich durchgesetzt und gegen den Willen meiner Mutter im Küchenschrank Platz gemacht, um dort mehrere Rollen verstauen zu können. So werde ich bei erneuten SOS-Anrufen dieser Art telefonisch für Nachschub sorgen können, indem ich ihr einfach sage, sie soll in den Küchenschrank schauen und sich dort bedienen.

Während ich im Keller mal wieder Inventur machte – sofern das in dem Durcheinander, das man nicht verändern darf, überhaupt möglich ist – war meine Mutter damit beschäftigt auf ihrer orangeroten Küchentischdecke mit der grünen Seite ihres gelben Topfschwammes weiße Flecken aus ihrer schwarzen Cordsamthose zu scheuern.

Als ich dazu stieß und sah, wie sie den schwarzen Stoff regelrecht misshandelte, atmete ich erst einmal tief durch. Kein Grund sich Blau zu ärgern, dachte ich nur. Und bevor mir das Ganze zu bunt werden konnte, nahm ich die Hose kurzerhand an mich und versuchte die weißen Flecken unter fließendem Wasser heraus zu gekommen. Vergeblich, wie sich herausstellte.

Was kann das nur sein, dachte ich, Zahnpasta, Scheuermilch, ein Vogelschiss? Aber das würde sich doch alles problemlos herauswaschen lassen. Es ist doch wohl keine weiße Wandfarbe, oder? Meine Mutter hatte schon immer lieber die Zimmer gestrichen als Hausarbeit verrichtet, aber Wandfarbe hätte sie erst kaufen müssen und das wäre mir definitiv aufgefallen.

Vielleicht haben SIE noch Tipps, um welchen ominösen Fleck es sich handeln könnte; dann immer her damit. Die Hose habe ich jedenfalls vorsichtshalber in Sicherheit gebracht. Schauen wir mal, was sich machen lässt, in meiner Waschmaschine im Schonwaschgang mit Feinwaschmittel. Denn auf die Spezialbehandlung mit dem grünen Schwamm muss jetzt nicht noch unbedingt eine Kochwäsche folgen.

Welche verheerenden Folgen zu heißes Waschen mit sich bringen würde, habe ich als Jugendliche oft genug erfahren müssen. Einmal ist ihm mein Angorapullover zum Opfer gefallen. Da war nichts mehr zu machen. Der war noch nicht einmal mehr als Puppenpullover zu gebrauchen. Und ein anderes Mal war unsere Unterwäsche plötzlich rosa gefärbt, was besonders meine Brüder und meinen Vater auf die Palme brachte.

Aber solche Unfälle nahm meine Mutter stets gelassen hin und meinte nur: „Das wäscht sich mit der Zeit wieder raus.“ Wahrscheinlich wäre meine Mutter ohne ihren grenzenlosen Optimismus schon längst unter der Erde. Also seien wir dankbar, dass sie so ist, wie sie ist.