Lebensbejahend mit Hüfthalterproblemen

Als Kind KONNTE ich nicht dick werden, weil unsere Eltern uns keine Cola, kein Nutella und keine üppigen Schokoriegel kauften. Und so etwas wie Kinder-Milchschnitten und Fruchtzwerge gab es zum Glück noch nicht. Samstagabends erhielt jedes Familienmitglied einen Riegel Schokolade. Das kam genau hin bei sechs Personen. Das war’s.

Als Jugendliche WOLLTE ich nicht dick werden, denn das Schönheitsideal war nun einmal schlank. Es gab noch keine lebensbejahenden molligen Curvy-Models, die starke Mode vorführen mit der sie dann big fun haben.

Jetzt, in meinem Alter, MÖCHTE ich schlank bleiben, um mir meine Beweglichkeit und Schmerzfreiheit zu erhalten. Bluthochdruck, erhöhtes Blutfett, Diabetes Typ II muss ich nicht haben. Und ich bin auch nicht scharf drauf, mich irgendwann als Diabetikerin mehrmals täglich mit Nadeln pieksen zu müssen. Mit anderen Worten, dieses ganze verdammte, aber vermeidbare Metabolische Syndrom soll mir vom Acker bleiben.

Das ist ganz einfach. Ich habe mir den Zuckerkonsum quasi völlig abgewöhnt. Die gute Nachricht: Mir fehlt nichts. Und man glaubt gar nicht, was man alles für köstliche und auch fetthaltige Sachen essen kann, ohne zuzunehmen, wenn man bloß den zusätzlichen Industriezucker weglässt und auf gute Fette und Öle achtet. Die Sättigung hält außerdem viel länger an.

Mit den molligen Models wollen uns die Lobbyisten heute suggerieren, dass es kein Übergewicht gibt, sondern stattdessen das sogenannte Wohlfühlgewicht auf der nach oben hin offenen Konfektionsgrößen-Skala.

Ich frage mich, wobei man sich da wohlfühlen soll? Beim übermäßigen Konsum oder bei den daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen, die das Mehr-Gewicht früher oder später mit sich bringt. Beides gibt es aber nur zusammen im Doppelpack. Und ein sich wohl-anfühlendes Übergewicht gibt es genauso oft, wie eine gesunde Krankheit. Alles klar?

Bei Brücken, Fahrstühlen und Transportmitteln aller Art darf die vorgegebene Höchstlast nicht überschritten werden, damit es keine Schäden gibt. Eigenartigerweise scheint das für das menschliche Skelett nicht zu gelten. Das jedenfalls will uns die Industrie glaubhaft machen, die uns Menschen so gern als Verbraucher (miss-)braucht. Auf diese Weise wird weltweit leichtes Geld gemacht.

Wie sagte schon der Boss der Tabak-Lobby:
„Es muss legal sein, erschwinglich, überall verfügbar und süchtig machen. Praktisch ein Selbstläufer!“

Mit Tabak geht das nicht mehr ganz so leicht und außerdem wird dabei die überaus wichtige Zielgruppe der Kinder nicht berücksichtigt. Zucker eignet sich viel besser. Auch er macht erwiesenermaßen süchtig. Deshalb werden immer neue Leckereien mit immer höherem Zuckeranteil kreiert. Die Fernsehwerbung tut ein Übriges, in dem sie direkt auf die richtige Stelle im Gehirn einwirkt. Solche bekannten Sätze wie „Wenige Sekunden auf der Zunge, für immer auf den Hüften!“ können den Heißhunger dann nicht mehr aufhalten. Wer kann den unendlich vielen, abhängig-machenden Versuchungen schon widerstehen, besonders wenn er schon als Kind an Zucker gewöhnt wurde?

Bei mir gibt es übrigens auch eine Versuchung, bei der ich durchaus schwach werden könnte. Aber dann verhindert mein starker Wille, dass ich stärker an den Hüften werde. Bei dem Produkt handelt es sich um ”Edle Tropfen in Nuss“ von Triumph. Ach nein, der Hersteller heißt Trumpf. Die beiden Firmen sind nicht zu verwechseln, denn kurioserweise arbeiten sie gegeneinander und doch Hand in Hand. Eine irre komische Symbiose –Triumph krönt die Figur mit ihren Miederwaren und Trumpf sorgt anschließend dafür, dass einen der Hüfthalter umbringt.

Und dann heißt es: „Die nächste Konfektionsgröße bitte!“

 

 

Auf der falschen Spur beim Zuckergipfel

Auf unserer Dänemarkrückfahrt standen wir in diesem Jahr wieder einmal im Stau, allerdings nicht wie sonst üblich auf der deutschen Seite, sondern auf dänischem Grund und Boden. Ich konnte mir also in Ruhe die rubbelige Fahrbahn-Markierung auf der Autobahn anschauen. Wenn man hier vom rechten Weg abkommt und über die Markierung fährt, wird ein komisches Geräusch erzeugt. So werden die Fahrer mehr oder weniger sanft aus ihren (Tag-)Träumen gerissen und wieder auf die „richtige Spur“ gebracht.

Wir rollten langsam vor uns hin. Im Radio lief ein Country-Song. Er gefiel mir. Während sich meine Stimmung hob, merkte ich, dass der Text dänisch war. Dann sprach der Radio-Moderator etwas. Süß! Ich mag dieses leichte Lallen; es klingt so gemütlich. Immer wieder sagte er zwischendurch Oh Joh Jo Jo Jo. Die Zeit verging und ein dänischer Schlager nach dem anderen wurde gespielt. Das Ha Li Ha Lo in diesen Liedern scheinen wir mit den Dänen gemeinsam zu haben. Zwischendurch liefen Country-Songs und ich blieb gut gelaunt.

Vor uns rollte ein schokobrauner (eher Zartbitter, nicht Vollmilch) Mercedes-Benz. Laut fachmännischer Auskunft meines Mannes ein sündhaft teurer SL Roadster. Mir fiel der Wagen auf, weil auf dem Nummernschild keine Nummern, sondern Buchstaben angebracht waren; es war eindeutig dänisch.

Wer ist in Dänemark so reich und bekannt, dass er keine Nummern auf dem Nummernschild haben muss? Mein Gehirn fing sofort an zu rattern. Ich sah Silberlocken, ja, ein älteres Ehepaar mit Silberlocken. Die Ermittlungsstelle in meinem Gehirn kam zu folgendem Ergebnis. Es müsste sich bei den beiden um das dänische Königspaar handeln. Er hatte bestimmt zu ihr gesagt: „Margarethe, Cherie (er ist nämlich Franzose) es sind Ferien, die Krone ist in der Reinigung, die Dackel sind beim Aqua-Jogging. Setz dir eine Beton-Frisur-Perücke auf und lass uns heimlich eine Spritztour machen. Dorthin, wo der Wein herkommt. Wir sausen so durch …..Die Fantasie ging mit mir durch. Als wir später an den beiden vorbeirollten, sah ich, dass es sich eindeutig nicht um das dänische Königspaar handelte. Es handelte sich auch um kein anderes europäisches Königspaar. Ich kann das beurteilen. Aus mir spricht mindestens zehn Jahre Secondhand-Boulevard-Presse-Erfahrung. Die alten Frau im Spiegel Ausgaben meiner Mutter waren wirklich höchst interessant gewesen. Dort konnte man Kurioses, Peinliches und Unglaubliches sehen und lesen – besonders zwischen den Zeilen.

Während ich noch nach rechts schaute, rollten wir langsam weiter. Ich sah einen sogenannten „lebensbejahenden“ Autofahrer. Er setzte eine Colaflasche an die Lippen und ließ die süchtig machende, braune Zucker-Koffein-Figur-Killer-Flüssigkeit durch den Hals laufen. Manche würden bei dem Anblick fragen, durch welchen Hals?

Ich hatte ein paar Tage vorher gelesen, dass ein aktueller Zuckergipfel stattfinden sollte. Der G 20 Gipfel war mir ja ein Begriff, aber von einem Zuckergipfel hatte ich bisher nichts gehört. So, so, man kann wohl nicht länger ignorieren, dass das Thema Zucker und seine Folgen weltweit sehr ernst zu nehmen ist, dachte ich. Mit Ablenkung hatte die sogenannte Lebensmittel-Industrie es bis jetzt geschafft, die Probleme, die der Zuckerkonsum mit sich bringt, zu verdrängen. Und sie wird so weitermachen, wenn sie nicht gebremst wird.

Die Strategie ist eigentlich ganz einfach: Man lässt der Presse psychologisch ausgeklügelte, ablenkende Mitteilungen zukommen. Man finanziert ergebnisorientierte Studien (Unis brauchen Geld). Man lockt die Schlankheitswilligen mit irgendwelchen „fettarmen Diäten“ und „Sportanweisungen“ auf die falsche Fährte. Ich sage nur: Suggestion.

Lobbyisten sind sich einig mit dem Hinweis, früher hätte es doch auch dicke Kinder gegeben, Übergewicht hätte doch nur etwas mit Bewegungsmangel zu tun. Es bräuchte auch nicht unbedingt jeder gleich zu wissen, dass Cola mit dem schädlicheren Glucose-Fructose-Sirup hergestellt wird. Davon muss zwar mehr verwendet werden als vom Kristallzucker, er ist  jedoch viel billiger in der Herstellung.

Angeblich haben Politiker beim Zuckergipfel von den Herstellern freiwillige Maßnahmen gefordert, also wird sich erst einmal nichts ändern, schade!

Es gibt bestimmt auch den einen oder anderen Politiker, der etwas bewegen möchte. Aber immer, wenn es einer versucht, nimmt ihn jemand mit den Worten zur Seite: „Ganz fabelhaft, mein Lieber, großartige Arbeit. Sie haben Zukunftspotenzial. Ich habe eine andere, wirtschaftlich sehr vielversprechende Aufgabe für sie. Und eins sollten sie sich unbedingt merken in der Politik:  Wir arbeiten auf WAHL-ERFOLGS-BASIS.

Apropos Wahl: Ich hatte als Kind nicht die Wahl zwischen Cola und Wasser, Pizza und Eintopf, Gummibärchen und Obst, Nuss-Nugat-Creme und Marmelade, Milchschnitten und Butterbrot, Schokoriegel und Topfkuchen. Es gab in der Regel auch „nur“ drei Mahlzeiten, und die wurden portioniert. Junge Leute mögen dazu sagen: „Die hat es aber nicht leicht gehabt in ihrer Kindheit.“ Stimmt irgendwie, aber dafür kann ich heute LEICHT-gewichtig zur Wahl-Urne gehen. Weniger LEICHT fällt mir das positive Denken. Jetzt stupst mich etwas an und sagt:
„Hast du vergessen, Liebling, grübeln war gestern.“