Funktionsfell trifft auf falschen Fummel

Heute ist das Wetter sehr unbeständig. Regen und Sonne wechseln sich ab, begleitet von stürmischen Winden, die ein kurzes Gewitter aufziehen ließen. Aber auch das genieße ich in Dänemark. Hier angekommen, kann ich runterfahren, spätestens beim Sonnenuntergang. Der Himmel und das Meer ändern ständig ihr Erscheinungsbild – ein gigantisches Farbenspiel, von dem es  allabendlich eine Neuinszenierung gibt.

Diese wilde menschenleere Natur fasziniert mich. Mein Mann und ich sitzen oft im Ferienhaus nebeneinander am Tisch, der direkt an der Fensterfront steht, vor uns unsere Ferngläser. ER schaut auf die Wetter-App seines Handys, ICH beobachte das Wetter draußen. Ab und zu hoppelt ein Hase vorbei.

Gestern war ein riesiger Regenbogen am Himmel sichtbar. Für kurze Zeit hatte er noch einen halben Regenbogen neben sich. Am kleinen Jachthafen streunten zwei Füchse am steinigen Strand entlang. Als der eine Fuchs staunend eine denkbar falsch aufgetakelte Frau erblickte, drehte er sich um und lief davon. Sein kleiner neugieriger Kollege flitzte hinterher, sobald er den Blick von dieser Attraktion lassen konnte. Die Frau sah so ganz anders aus, als die Menschen in Funktionskleidung, die es sonst an diese einsame Bucht verschlägt. Nicht, dass Füchse irgendetwas von Mode verstünden. Wozu auch, wenn sie doch von Kopf bis Fuß in ihren kuscheligen Funktionspelz eingehüllt sind. Aber die Frau verstand etwas von Mode, auch wenn Das Passende Outfit  nicht ihr Spezialgebiet zu sein schien.

Es ist Samstag, und da macht sich auch bei Regen und Wind der eine oder andere Mensch auf den Weg zum Meer, so auch besagte Frau. Während ihr Begleiter es vorzog im Auto sitzen zu bleiben, setzte sie bei stürmischer Brise die Kapuze auf ihre Frisur und fing an, Steine zu sammeln. Sie trug ein weites Figur umschmeichelndes Ensemble, das aus einem kurzen bunten Kleid und einer etwas längeren senfgelben verschlusslosen Kapuzen-Strickjacke bestand. Ihr modisch aktuelles Outfit hatte sie mit auffälligen Stiefelettchen komplettiert, die ihre kurzen Beine noch kürzer erscheinen ließen, als sie ohnehin waren.

Inzwischen peitschte der Regen gegen die Windschutzscheibe des Autos. Die Frau hielt sich fröstelnd ihre dünne Strickjacke zusammen und der Mann hielt es weiterhin für besser, nicht auszusteigen. Die Strickkapuze war inzwischen durchnässt und die Frisur platt. Aber die Frau hatte sich die Steine nun einmal in ihren vergeblich frisierten Kopf gesetzt und ging, in gebückter Haltung Ausschau haltend, weiter.

Weil die nasse Strickjacke nun wie eine zweite Haut an der Frau klebte, zeichnete sich die Silhouette ihrer viereckigen Figur ab. Die kaschierende Wirkung der trendigen Kreation war dahin. Ja, frau hat’s nicht einfach Frisur, Figur und Natur unter einen Hut zu kriegen. Und auf die Wirkung von Mode ist ja grundsätzlich kein Verlass, auf Funktionskleidung schon – und vor allem auf eine passende Wetter-App. Auf dieser hatte mein Mann nämlich gesehen, dass schon wenig später Regen und Wind nachlassen würden.

Und siehe da, während die Frau wie ein begossener Pudel wieder im Auto saß, lockerte es von Südwesten her auf. Die Sonne trocknete die unzähligen wohlgeformten Steine am Strand und ließ das Meer vor dunklem Horizont silbrig glitzern. Eine wunderschöne Silhouette!

Dachschaden durch Strohausfall

Ich erinnere mich noch gut. Vor vielen Jahren hatten wir in Dänemark ein Strohdachhaus mit Nordsee-Meerblick gebucht. Als wir angekommen waren, fiel uns auf, dass der verwunschene Weg, der hoch zum Haus führte, fast zugewachsen war. Ich musste unseren kleinen Hund auf den Arm nehmen, während wir uns zum Eingang durcharbeiteten. Als wir die Tür aufschlossen und hineingingen, fühlte ich mich in eine andere Zeit zurückversetzt. Leider handelte es sich eindeutig um eine Zeit mit wenig Komfort. Mein Verstand wollte sich beschweren, während das romantische Vintage-Gefühl in mir Purzelbäume schlug. Egal, wir schleppten erst einmal unsere Sachen hinein. Dann sahen wir uns stumm um:

Die Lichtschalter stammten wohl aus der Zeit, in der das elektrische Licht gerade eingeführt worden war. Auch an der Küche war seither jede moderne Entwicklung vorbeigegangen. Wo war nur der Kühlschrank? Wir fanden ihn  in einer Art Kellervertiefung mit Holztreppchen am Ende des Raumes. Dort wurde wohl schon früher alles ohne künstliche Kühlung frisch gehalten. Der Gossenstein (Spüle) und der Zweiplattenherd ließen mich erschaudern, von der Pfanne und den Töpfen ganz zu schweigen. Aber zunächst gab es Wichtigeres.

Nach der langen Fahrt musste ich erst einmal dringend für kleine Urlauber. Das Wasserklosett funktionierte zufriedenstellend, wenn man davon absah, dass unten ein wenig Wasser in einem Rinnsal herauslief – zum Glück handelte es sich um Frischwasser.

Ich fragte mich, ob das Stroh auf dem Fußboden dafür gedacht war, das Wasser aufzusaugen? Mir wurde ganz anders und wir sahen uns weiter um. Im Schlafzimmer waren an den Wänden hübsch geblümte Tapeten, die mustertechnisch direkt in die Gardinen übergingen, als gäbe es überhaupt keine Vorhänge. In Gedanken gab ich einen Abzug in der B-Note! Aber das war noch nicht alles. Überall sahen wir Blüten, sogar der Teppichboden war geblümt. Eindeutig „to much“, selbst für eingefleischte Landhausstil-Liebhaber! Ich mag grundsätzlich geblümte Muster, aber in diesem Haus war
bestimmt jeder froh, dass er nachts die Augen geschlossen hatte.

Als mein Blick auf das Bett fiel, sah ich dort schon wieder Stroh. Und eines stand fest, es war sicher nicht dafür gedacht, Wasser aufzusaugen und es gehörte auch nicht zur Dekoration. Warum es dort wohl lag? Langsam dämmerte es mir und ich schaute nach oben. Natürlich, das Stroh kam direkt vom Dach und war einfach, zwischen die Holzdielen der Zimmerdecke hindurch, nach unten gefallen.

Um uns zu vergewissern, gingen wir die schmale Treppe hinauf und fanden uns auf einem großen Dachboden wieder. Tatsächlich, die alten Holzdielen waren mit Strohhalmen übersät, entsprechend marode zeigte sich das Dach über uns. Es hatte definitiv schon bessere Zeiten gesehen. Ich stellte mir vor, wie gemütlich es im Haus sein musste, nach einem starken Regenguss und was ein Gewitter oder ein Kurzschluss in der alten Stromleitung alles anrichten konnte … Mir wurde ganz schaurig zumute.

Vorsichtig gingen wir wieder nach unten und nahmen das Wohnzimmer in Augenschein. Das hatte auf dem Foto im Prospekt so gemütlich gewirkt. Und tatsächlich, es war auch mal gemütlich gewesen – jedenfalls vor ungefähr 50 Jahren. Der geblümte Ohrensessel, der offene Kamin, wie für eine Filmkulisse gemacht. Das Ganze erinnerte mich an die Miss Marple Verfilmungen, jedenfalls auf den ersten Blick. Man durfte jedoch nicht genau hinsehen. Die Fußleisten waren durchweg vergammelt, ebenfalls die Terrassentür. Alles war schmuddelig und renovierungsbedürftig.

Neben der Tür stand ein Zinkeimer mit Sand, in denen Kippen steckten. Die Gartenmöbel bestanden aus einem durchgesägten Baumstamm auf Beinen, der als Tisch dienen sollte, und einer harten Holzbank ohne Lehne. Um die Ecke standen die rostigen Überbleibsel eines Liegestuhls. Meine Freude war stark getrübt, genauso wie die Fensterscheiben, durch die man laut Prospekt den Meerblick hätte genießen sollen. Mein Mann und ich sahen uns an; ein Blick genügte. Der fragende Blick unseres Hundes ging zwischen uns hin und her. „Was hat Herrchen denn? Warum ist Frauchen so traurig?“

Jenny verstand die Welt nicht mehr. Die Enttäuschung über unseren wortlos gefassten Entschluss war ihr ins Gesicht geschrieben. Und als wir tätig wurden, hatte ich den Eindruck, Jennys Gedanken lesen zu können: „Leute, die Hütte gefällt mir, sie riecht total interessant. Ich wollte schon immer mal Abenteuerurlaub mit euch machen. Also wieso packt ihr alle Sachen wieder in das doofe Auto zurück, sogar meine Näpfe und meine Schlafhöhle?“

Auf den Geschmack unseres Hundes konnten und wollten wir keine Rücksicht nehmen und begaben uns schnurstracks zur Ferienhausvermittlung. Dort angekommen, brauchten wir nicht viel zu sagen. Die zuständige Dame gab uns sofort drei Schlüssel von anderen Ferienhäusern, von denen wir uns ein annehmbares aussuchten und dann doch noch einen schönen Urlaub verleben konnten.

Heute frage ich mich, ob ein solches Haus im Zeitalter des Internets überhaupt noch eine Chance hätte, gebucht zu werden. Aber wahrscheinlich ist es ohnehin schon längst in Flammen aufgegangen. Ja, Gewitter können eine reinigende Wirkung haben.

Sankt Hans auf allen Hügeln

Heute haben wir Mittsommernacht. Das Wetter ist leider nicht so schön, wir hatten in letzter Zeit schon schönere erlebt. Gegen Abend gehen wir auf unseren Haushügel. Der Weg führt langsam hinauf. Es ist eine Steilküste mit einem Spazierweg. Von da oben können wir unser Auto sehen und ein wenig vom Hausdach. Die ziemlich steile Meeresseite des Hügels ist stark bewachsen mit Büschen und Bäumen. Nach hinten fällt das Land flach ab. Man sieht Weiden und im Hintergrund Buchten – und überall Meer. Es gibt hier mehr Strand als Land. Ganz oben am Ende angekommen setzen wir uns auf eine Bank und genießen den Ausblick.

Auf der nächsten Hügellandschaft liegt die Landspitze, von der wir immer den Sonnenuntergang beobachten. Vor zwei Jahren machte dort ein junger Mann Geräusche mit Klangschalen. Es war ein heißer Tag mit einem roten Sonnenuntergang und einer ganz besonderen Atmosphäre. Als wir zurückgingen und uns umsahen, sah es aus, als stünde der Hügel in Flammen.

Jetzt geht mein Blick nach oben. Wenige große Möwen schweben im Wind, ohne einen einzigen Flügelschlag zu tun. Sehr viele kleine Schwalben flattern blitzschnell hin und her. Ein junges Paar kommt die steile, mindestens zwanzig Meter hohe Holztreppe den Hügel hinauf. Hier gibt es einen Grillplatz mit großem Schwenkgrill. Hej! Sie lächeln etwas gequält und machen ein paar Schritte an uns vorbei. Dann gehen sie die Treppe wieder hinunter. Als wir wenig später wieder unten ankommen, gehen sie freudestrahlend mit ihrem Grillgut und ihren Getränken wieder hinauf.

Nach den Mengen zu urteilen, erwarteten sie noch Freunde und dachten bestimmt, gut, dass die Alten nicht auch grillen wollen. Zurzeit sind die Weißen Nächte. Es wird nie wirklich dunkel. Und heute zur Mittsommernacht wird in ganz Dänemark gefeiert. Hier heißt es Sankt Hans, nach Johannes dem Täufer.

Wir gehen zurück zu unserem Sommerhus. Es ist ein schwarzes Holzhaus. Aber wenn man es von vorne betrachtet, scheint es nur aus einer riesigen, weißen dänischen Quersprossen-Fensterfront und einem tiefschwarz glitzernden Walmdach zu bestehen. Das Dach hat dreieckige, ebenfalls glitzernde Längsleisten. Das Ganze besteht bestimmt aus so einer Art Luxus Dachpappe. Solche Dachbedeckungen sehe ich nur in Dänemark.

Wir sitzen wieder im Haus. Plötzlich rast erneut der rote Seenotrettungskreuzer vorbei. Ich sehe durch mein Fernglas. Nein, es ist gar kein Rettungskreuzer, es sind die Jungs von der Polizei, die da immer so schnell unterwegs sind und deren Boot in royalem Rot leuchtet. Ich kann deutlich die Aufschrift Politi lesen.

Überall an den Ufern sieht man jetzt große Feuer aufflackern. Eins ist sicher, heute gibt es einen triftigen Grund zum Trinken. Skål!

Dänen lügen nicht

Ich erwache und habe das Gefühl, ich liege nicht, ich schwebe. Ist meine Schulter überhaupt noch da? Ich spüre keinerlei Druck oder Schmerz. Doch, sie ist noch da, sie war nur druckfrei versunken, und zwar in dem weichen dänischen randlosen Polsterbett, das auf einer Art Kufen steht. (Im Winter könnte man es vermutlich als Schlitten einsetzten, aber das ist eine andere Geschichte.)

Als Betten-Verkäufer würde ich es folgendermaßen anpreisen: „Bei diesem Modell handelt es sich um ein schulterschmerzfreies Slip-Modell mit pull and push Kufen-Funktion. Es ist 180 cm breit und lässt sich im Handumdrehen auf dem Boden vor und zurück und hin- und herschieben. So können Sie dahinter und darunter ganz leicht sauber machen und es RUNDUM frisch beziehen. Es wäre auch in Deutschland der Liebling aller Haus- und Putzmänner bzw. -frauen.“

Schade, bei uns quält man sich nach wie vor lieber mit unverrückbaren Riesenbettgestellen. Besonders beliebt ist derzeit das nicht handelbare Boxspring-Bett, immer nach dem Motto: Wenn schon unpraktisch, dann auch teuer – das nennt man dann Designer-Stück.

In den anderen dänischen Ferienhäusern hatten wir früher immer zwei nebeneinanderstehende 90 cm breite Versionen unseres heutigen Bettentraums. Sie wurden mit einer serienmäßig dazugehörigen Spange an den Kufen zusammengehalten. Es bestand nämlich sonst die Gefahr, dass im entscheidenden Augenblick einer der Partner (oder beide) zwischen den Betten verschwindet. Ich weiß, wovon ich spreche, denn in einem unserer Ferienhäuser fehlten die notwendigen Spangen, womit wir nicht gerechnet hatten. Was soll ich sagen, nur soviel – wir kamen aus dem Tal der Ahnungslosen …

Am nächsten Tag hatte mein Mann die Kufen mit einer Schnur zusammengebunden, damit wir keine bösen Überraschungen mehr erleben konnten. Erstaunlich, welchen Komfortgewinn so ein kleines Stück Schnur bewirkt.

Vor 26 Jahren – als wir unsere ersten Gehversuche in Sachen Dänemarkurlaub machten – mussten wir mit seeeeehr viel weniger Luxus auskommen. Wir hatten ein »Sommerhus« auf Seeland gebucht. Es gab noch kein Internet. Im Prospekt stand Die Kojen sind guten. Also sind die Betten gut, dachten wir. Aber die Betonung lag auf Kojen.

In der ersten Nacht lag ich oben, in einem sehr hohen Hochbett, auf das keine richtige Leiter führte. Die Besitzer mussten zweifellos Riesen sein und es selbst eingebaut haben. Das Bett war so hoch, dass ich am nächsten Morgen, beim Versuch rückwärts hinunterzukommen, mit den Hüftknochen auf der harten Kante auflag und weder vor noch zurückkam. Mein Mann musste mich befreien. Diese Schlafgelegenheit war eindeutig nicht zu empfehlen, höchstens für Masochisten oder Selbstmörder. Wir haben dann meine Matratze auf den Fußboden gelegt und den Urlaub trotzdem genossen. Was Betten in dänischen Ferienhäusern betraf, bestand also akuter Handlungsbedarf.

Wie wir jetzt wissen, hat sich in unserem Urlaubslieblingsland seitdem auf diesem Gebiet viel getan. Inzwischen kann ich sagen: „Dänen lügen nicht, wenn sie behaupten würden, uns bettentechnisch überholt zu haben!“