Weihnachten in Schwarz Weiß

Am ersten Weihnachtstag wollte ich, wie geplant, meine Mutter zu mir holen. Damit sie sich schon mal bereit machen konnte, rief ich vorher an. Aber sie sagte nur, dass es ihr sehr schlecht ginge und sie lieber zu Hause bleiben würde. Sie hätte Bauchweh. Zu ihren ständigen Rückenschmerzen waren nun also noch Bauchschmerzen und Durchfall hinzugekommen.

Das liegt vermutlich an ihrem unkontrollierten und unregelmäßigen Essen, besonders in der Woche zwischen Weihnachten und Neujahr, in der IHR Feinkostladen kein Essen liefert. Sie stopft alles Mögliche in sich hinein und vergisst zu allem Überfluss auch noch, dass sie schon gegessen hat. Außerdem wird die Kühlkette der Lebensmittel im Grunde ständig unterbrochen. Oft vergisst sie nämlich die Lebensmittel in den Kühlschrank zurückzustellen und isst dann sogar halb verdorbene Sachen.

Also schnappte ich mir unseren Angurate Tee und fuhr los. Nachdem ich ihr einen Becher Tee hingestellt hatte, sah ich, in welcher beschissenen Situation sie sich befand und machte schnell ein wenig sauber. Ich wollte auf keinen Fall, dass meine Mutter an diesem Tag alleine zu Hause sitzt.  Also lautete die Devise: Abwarten und Tee trinken. Nachdem wir das getan hatten, ging es meiner Mutter tatsächlich ein wenig besser und sie war bereit mitzukommen. Jetzt musste ich sie nur noch ein wenig herrichten. Was hätte ich dafür gegeben, wenigstens einmal in meinem Leben die bezaubernde Jeannie sein zu dürfen. Aber ich musste improvisieren, wie immer.

Zunächst suchte ich die gute, neue, weite, schwarze Feincordhose meiner Mutter. Aber ich fand sie einfach nicht. Schließlich sah ich, dass die gesuchte Hose bereits am „Mann“ bzw. an der Frau war. Tatsächlich, meine Mutter trug diese Hose, was ich aber nicht erkennen konnte, weil das gute Stück inzwischen alles andere als gut, neu, weit und schwarz aussah.

Eines ist mir sofort klar geworden: Meine Mutter hat die von ihr zunächst abgelehnte Hose inzwischen voll ins Herz geschlossen. Sie trägt keine andere mehr, allein schon deshalb, weil ihr fast alle anderen Hosen zu klein geworden sind. Ich werde ihr bald eine neue Hose kaufen müssen.

Als wir das geklärt hatten, wollte sie den bunten Jacquard Pullover mit Norweger-Muster partout anbehalten. Okay, dachte ich, dann nehme ich die weiße Bluse, die schwarze Glitzerweste und die dicke schwarze mehrreihige 50er Jahre Schmuckstein-Halskette eben mit und versuche es bei uns zu Hause noch mal mit dem Umziehen. Vielleicht kann ich sie dann noch ein bisschen aufpeppen. Früher hatte sie sich an Weihnachten immer gerne in Schwarz Weiß gekleidet.

Als wir schließlich bei uns ankamen, war es schon sehr spät und ich hatte sofort, trotz Vorbereitung und Hilfe meines Mannes, alle Hände voll zu tun, das Mittagessen auf den Tisch zu bringen. Unsere Tochter und ihr Freund nahmen sich meiner Mutter an und beantworteten bereitwillig und unaufhörlich dieselben Fragen. Als Ablenkung zeigten sie ihr auch immer wieder alle Geschenke.

Als wir am Mittagstisch saßen, sagte meine Mutter aus dem Nichts heraus zu meinem Mann, dass er den dicken Schinken aber unmöglich mit ins Bett nehmen könne. Das wäre viel zu anstrengend, den die ganze Zeit hochzuhalten. Welchen Schinken?, dachten wir. Es gab Rinderbraten und im Bett wird sowieso nicht gegessen. Wir sahen uns irritiert an, bis wir begriffen hatten, wovon sie eigentlich sprach. Sie meinte das dicke Buch, dass mein Mann von unserer Tochter bekommen hatte. Ja, demente Menschen bekommen Gedankensprünge hin, da kommt kein Normalsterblicher hinterher.

Nach dem Mittagessen ging es meiner Mutter viel besser und ich schaffte es, ihr die weiße Bluse anzuziehen. Als sie in den Spiegel sah, fiel ihr auf, wie sauber und weiß die Bluse strahlte. Ich sagte ihr, dass ich das gute Stück neulich bei mir eingeweicht und gewaschen hätte. Dann sah sie wieder in den Spiegel und meinte: „Aber mein Haar brauche ich nicht zu waschen, das ist weiß genug.“ Da kann ich nur sagen, wo sie recht hat, hat sie recht. Der muffige wild gewordene Handfeger auf ihrem Kopf ist weiß genug. Ihr wesentlich jüngerer Bruder brachte es einmal folgendermaßen auf den Punkt: „Wie siehst du denn aus, Margret, hast du dich von deinem Freundeskreis verabschiedet?“

Gut, dass man eine Familie hat, die einen liebt. Sie sagen zwar unbequeme Wahrheiten, aber man ist nicht so allein, was an Weihnachten besonders bitter wäre. So saßen wir also  alle in schwarz weiß gekleidet friedlich am Kaffeetisch. Ich war froh und erleichtert, dass wir ohne weitere Zwischenfälle  soweit gekommen waren. Alles war festlich geschmückt und erstrahlte im Glanz der Lichter. Wer denkt in einem solch kostbaren Moment schon an die Frisur.

­­Abends spät konnte ich endlich auf der Couch sitzen und durchatmen. Meine Mutter hatte ich inzwischen wieder nach Hause gebracht, umgezogen und vor den Fernseher gesetzt. In meinem Handy sah ich nun Weihnachtsgrüße und -fotos mit ganzen Familien in bunten Weihnachtspullovern mit Tannenbaum-Hintergrund. Und mir wurde schlagartig klar, dass meine Mutter mit ihrem Pullover voll trendy gewesen wäre. Ich fragte mich, warum ich ihr eigentlich die festliche schwarz-weiße Kleidung angezogen hatte. Manchmal sollte man den Dingen einfach ihren Lauf lassen.

Als ich meine Mutter am nächsten Tag anrief, sagte sie, es gäbe gerade einen schönen Film im Fernsehen. Es ist mit Fiffy. Ach, ein netter Hundefilm, dachte ich, und wollte sie nicht stören. Dann sah ich in die Programmzeitung und musste laut lachen. Zu Weihnachten gab es natürlich Sissi, was sonst. Ich hätte es wissen müssen. Jedes Jahr läuft im Grunde dasselbe Fernsehprogramm. Auch an Silvester. Da heißt es dann wieder: Dinner for one. Natürlich in Schwarz Weiß, ohne bunten Weihnachtspullover, eben ganz klassisch.

Ich frage mich nur, ob die Mitglieder des Frauenbundes für alkoholfreie Kultur dieses beliebte Bühnenstück überhaupt anschauen und darüber lachen dürfen. Ich werde es jedenfalls gemeinsam mit meinem Mann tun. In diesem Sinne: Prosit Neujahr!!!

Flambierte Augenbrauen und andere Alkohol-Unfälle

Der Alkohol ist ein Riesengeschäft! Er ist legal und ziemlich problemlos, jedenfalls für die, die damit Geld verdienen. Und weshalb? Es gibt in den meisten Fällen kein Verfalldatum, das da klein gedruckt lauert. Und Alkohol ist praktisch ein Selbstläufer. Aus verschiedenen Gründen wird er ständig konsumiert. Wohldosiert sorgt Alkohol für Entspannung, schöne Trinksprüche und viel Spaß in geselligen Runden. Aber das Trinken macht natürlich auch große Probleme.

Ein vergleichsweise kleines Problem hat dagegen die Spirituosen-Industrie: Alkoholische Getränke sind der Mode unterworfen. Ja sie haben richtig gelesen. Ich habe mal ein bisschen darüber nachgedacht, wie sich die Trink-Mode geändert hat, und bin selbst erstaunt darüber, was mir dazu alles eingefallen ist.

Nick Charles war in dem Film Mordsache dünner Mann aus dem Jahr 1934 mehr mit dem Trinken als mit dem Ermitteln beschäftigt, und zwar so gut gelaunt und charmant, dass man fast den Wunsch hegte, auch immer durch Drinks so gut drauf sein zu wollen. Seine süße, ebenso stinkreiche wie trinkfeste Frau langweilte sich geradezu ohne Mordfälle und ohne Drinks. Das Cocktail-Kleid konnte man praktisch als ihre Arbeitskleidung betrachten. Mit diesem Film kurbelte die Spirituosen-Industrie direkt nach der Prohibition den Alkoholkonsum wieder voll an. Bessere Werbung ist kaum vorstellbar. Unter anderem spielten gemixte Martinis eine große Rolle, wie in vielen anderen Filmen später auch, z.B. bei James Bond. Ob sie gerührt oder geschüttelt wurden, sei dahingestellt, genauso wie die kostbaren Kristallflaschen auf edlen Tischchen.

Nach dem Krieg drehte sich in Deutschland vieles um das gesellige Trinken. In den 1960er Jahren wurden gerne und zu jeder Gelegenheit Trinklieder gehört, mitgesungen und geschunkelt: Von „Trink Brüderlein trink“ über „Kornblumenblau“ bis „Schnaps, das war sein letztes Wort, dann trugen ihn die Englein fort“. Prösterchen!

Bei Hochzeiten standen auf jedem Tisch mehrere Schnapsflaschen und die Musik wurde häufig unterbrochen, damit die Gäste über das Tanzen das Trinken nicht vergaßen. Im Radio gab es spät abends eine Sendung mit dem Titel Funk-Bar, der Vorläufer der heutigen Fernseh-Talkshows. Die nette Unterhaltung der Leute wurde mit Musik und dem Klirren der Gläser untermalt und mit Cocktail-Rezepten angereichert. Im Fernsehen sah man sonntags vormittags im internationalen Frühschoppen Journalisten an einem halbrunden Tisch rauchend und Wein trinkend diskutieren. Gegen Ende der Sendung konnte man durch den Zigaretten- und Pfeifenrauch kaum noch jemanden erkennen. Nachmittags schunkelten und sangen im Blauen Bock gut gelaunte Leute an langen Tischen und tranken Äbbelwoi bis zum Abwinken. Und abends wurde in der TV-Seemannskneipe Haifisch-Bar hochprozentig für Stimmung gesorgt. Hoch die Tassen!

Als Frauen in Deutschland noch nie etwas davon gehört hatten, war es für Engländerinnen durchaus üblich, nach einem Einkaufsbummel, also nach dem Shoppen im Pub noch einen Sherry zu trinken. Die Queen ist auch nicht abgeneigt, wie man lesen kann. Sie trinkt angeblich nach wie vor sechs Alkohol-Einheiten pro Tag. Vor dem Mittagessen das Mixgetränk Gin Dubonnet, zum Mittagessen Wein, zu vorgerückter Stunde trockenen Martini und vor dem Schlafen gehen Champagner. Ihre Cousine verriet, dass die Queen richtig was vertragen könne. Cheers!

Als ich Anfang der 1970er Jahren anfing auszugehen, war es üblich in der Disco und in den plötzlich angesagten Pubs Whisky zu trinken. Statt einen Ausweis zu verlangen, wurde einem eine Whisky-Karte mit sehr viel Auswahl vorgelegt. Southern Comfort kannte man in Deutschland noch nicht, dafür eher die Whisky-Marken, die einen Vornamen tragen. Ich sage nur Jim, Jack und Johnny. Zu Hause hatte man gerne eine ebenso interessante wie teure Flasche Dimple stehen. Welch eine Verschwendung, wenn man bedenkt, dass er hauptsächlich mit Cola getrunken wurde. Ich habe heute noch den Geruch in der Nase. Keine angenehme Erinnerung.

Dagegen war der wunderbare Duft des Orangenlikörs Cointreau, der plötzlich beliebt wurde und den meine Eltern ihren Freunden anboten, ein Genuss. Auch Grand Marnier, der mit Cognac hergestellt wird, wurde in Deutschland immer bekannter. In exklusiven Restaurants wurde plötzlich ein außergewöhnliches Dessert mit diesem Orangenlikör angeboten. Dazu ließ ein Kellner auf einem Servierwagen einen dünnen Pfannkuchen in Flammen aufgehen. (Zum Glück wachsen Augenbrauen nach.) Und siehe da, Crêpe Suzette war in Deutschland angekommen und ist inzwischen aus keiner Fußgängerzone mehr wegzudenken, allerdings eher die Version mit Nutella. Uhh, muss das sein?

Ebenfalls in den 1970er Jahren meinte man plötzlich, ab und zu einen Cognac für seine Nerven zu brauchen. Und wer es sich leisten konnte, schwenkte ihn entspannt und ruhig in einem riesigen hauchdünnen Cognac-Schwenker vor dem offenen Kamin. A votre santé!

Aber auch billiger Weinbrand wurde immer beliebter und sogar an Geburtstagen im Büro den Kollegen angeboten. Ja, Alkohol und Zigaretten während der Arbeitszeit waren damals nicht verboten, sondern sogar üblich. Man musste allerdings aufpassen, dass man von Maria Kron nicht schnell einen in der Krone hatte. Zum Wohl!

Etwas später wurde es mit dem Maracuja Likör Jambosala beim Trinken exotisch. Das dadurch aufkommende Fernweh versuchte man mit dem Trinklied „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ in den Griff zu bekommen. Ein Prosit der Gemütlichkeit!

Früher genehmigten sich die Leute einfach mal den einen oder anderen Schnaps. Regional bedingt  gibt es verschiedene hochprozentige Spezialitäten, wie z.B. Kümmel, Korn, Wachholder oder Obstler. In Norddeutschland kippt man sich einen sogenannten Kurzen eiskalt hinter die Binde, also direkt in den Hals. Nach dem Motto: „Nich lang schnacken, Kopp in Nacken“. Danach wird ein angespannter Gesichtsausdruck mit offenem Mund gemacht und sich geschüttelt. Wer dann noch ein Bier hinterher schüttet, hatte ein sogenanntes Herrengedeck. Damit man sich nicht mehr schütteln musste, wurde der Apfel-Korn erfunden. Noch besser schmeckte vielen Trinkenden der Persiko, der in den 1970er Jahren gerne statt Kurzer zum Bier getrunken wurde. Die Spirituosen-Industrie erfand immer neue leckere Fruchtschnäpse, die man gefrostet genießt, z.B. mit Erdbeer- oder Waldmeistergeschmack. Niemand sollte mehr Nein sagen, wenn ihm Alkohol angeboten wird, nur weil der nicht angenehm schmeckt.

Die Softdrink- Industrie forcierte Cola Rum, später Cola Bacardi. Der Werbesong für diesen weißen Rum wurde ein Welthit und damit auch das Mixgetränk. Später hat man dann mit Ready to drink Fertigmixgetränken, die man Alkopops nennt, voll ins Schwarze getroffen bei der jungen Zielgruppe.
Voll lecker zum Zuschütten!

Was für den Martini die Olive war, wurde für den Bommerlunder die Pflaume und später für den Wodka die Feige. So nach dem Motto: Das bisschen, was ich esse, kann ich auch trinken. Und es ist total praktisch. Eingelegte Oliven, Pflaumen oder Feigen konnte man für sich oder unerwartete Gäste immer im Hause haben, genauso wie ein Sortiment an Alkohol. Auf die Gesundheit!

Griechenland wurde als Urlaubsland immer beliebter, und so auch der Metaxa. Auch bei diesem Weinbrand gibt es natürlich verschiedene Qualitäten, die man an der Anzahl der Sterne auf dem Etikett erkennen kann. Man sollte allerdings nicht so lange davon trinken, bis man mehr Sterne sieht, als dort abgebildet sind. Ouzo wurde hauptsächlich in den immer beliebter werdenden griechischen Restaurants eiskalt gereicht, was sich bis heute nicht geändert hat. Jamas!

In den 1980er Jahren wurde es beim Trinken immer vornehmer und in der Mode immer derber. Man trank Kir royal und trug als Dame plötzlich schwere Schnürboots mit dicken Profilsohlen zu breitschultriger Oberbekleidung. Kir royal ist Sekt mit einem Schuss des französischen Schwarze-Johannisbeer-Likörs Creme de Cassis. Solchen Likör gab es übrigens schon früher in Deutschland unter dem Namen Schwarzer Kater.

Apropos Kater! Man glaubte, dass des Wodkas reine Seele beim anschließenden Kater weniger Kopfschmerzen verursacht. Auch zum Mixen mit Softdrinks eignet er sich bestens, denn er schmeckt nicht so durch wie Whisky, Weinbrand oder Rum. Wodka lemon war plötzlich total angesagt, man nippte ihn auf die feine englische Art mit Schweppes Bitter Lemon oder Tonicwater.

Aber Wodka wird natürlich auch ordentlich gebechert. Das ist übrigens der neuste Trend in Deutschland. Ja, Sie haben richtig gelesen. Und dieser Trend kommt nicht etwa aus Russland. Nein, er kommt aus den USA. Getrunken wird aus behämmerten, ähh gehämmerten Kupferbechern. In diese Becher füllt man schon seit den 1940er Jahren Wodka und Ginger Beer und nannte den Drink damals Moscow-Mule. Noch ein paar Eiswürfel und ein Spritzer Limettensaft dazu und er trat seinen Siegeszug durch die USA an. Aber erst vor wenigen Jahren kam der Drink, der traditionell mit der US-Marke Smirnoff gemixt wurde, endlich in Deutschland an. Hier sind hauptsächlich Wodka-Marken bekannt, die sich an den Namen der russischen Präsidenten orientieren, wie z.B. Putinoff. Dieser Billig-Wodka lässt sich laut Test allerdings am besten für kalte Umschläge verwenden. Sollte der mir jemals gereicht werden, würde ich ihn allein schon wegen des Namens mitsamt dem Glas hinter mich werfen. Nastrovje!

Dann wurde Ramazzotti beliebt, nicht nur Eros der Sänger, sondern auch lecker der Kräuterlikör. Salute!

Als Dessert gab es plötzlich überall Tiramisu mit dem Bittermandellikör Amaretto, der früher in Deutschland unter dem Namen Persiko gern pur gekippt wurde. Und wo man schon mal bei Italien war, wurde es mal wieder Zeit einen neuen Weinbrand für sich zu entdecken. Grappa wurde gereicht. Nach dem Essen schob die gute Gastgeberin einen Servierwagen mit Espressotässchen und Grappa in passenden Gläsern neben den schön gedeckten Esstisch. Aber keine Angst, man braucht nicht die Befürchtung zu haben, kein perfekter Gastgeber zu sein, wenn man das nicht drauf hatte.

Gäste scheinen grundsätzlich für alles dankbar zu sein, allein schon für die Einladung. Und wenn man unsicher über die Getränkefolge beim Essen ist, macht man es einfach so, wie man es im Fernsehen gelernt hat. Schließlich wird einmal jährlich automatisch das Standardwissen über die Getränke-Wahl aufgefrischt. Dinner for one sei Dank könnte es fast jeder auswendig aufsagen: Von „Sherry with the Soup“ bis zum „Port with the fruit“. Cheerio!

Ein Aperitif vor dem Essen und zur Begrüßung war schon immer beliebt. Man kannte Sherry und Martini. Dann ging man über zu „Campari, was sonst“. Aber wo ein Aperitif ist, ist auch ein Digestif. Man nennt ihn auch Absacker. In Restaurants werden sie nach dem Essen aktiv angeboten. Man sollte allerdings wissen, dass man vom Linie Aquavit bei einer eventuellen Alkoholkontrolle eher schlechter auf einer geraden Linie gehen könnte.

Später entdeckten Restaurants edle teure Obstbrände als Zusatzgeschäft, nicht schlecht!  Früher tranken die Leute als Verdauungsschnaps eher einen Kümmel oder Enzian. Meine Oma hatte sich für den Fall, dass ihr mal etwas quer saß, kleine Underberg-Fläschchen versteckt. Der Kräuterlikör Jägermeister wurde später immer mehr von jungen Konsumenten entdeckt und z.B. mit einem Energiedrink gemixt. Echt krass! Und durch intensive Promotion ist der Hirschkopf inzwischen Kult, sogar in den USA und England.

Mein Mann meinte früher, dass er ab und zu einen Fernet Branca bräuchte. In unserer Schrankwand hatten wir ein sogenanntes Barfach mit Spiegel-Hintergrund. Es war voller Flaschen, die man schon durch den Spiegel doppelt sah, ohne auch nur das Geringste getrunken zu haben. Man brauchte das Fach nur aufzuklappen, wie einen Sekretär. Auf der heruntergeklappten Fläche mit Glasplatte konnte man sich dann einen einschenken. Soviel zur Theorie. Als ich ein einziges Mal das Gefühl hatte, einen Fernet zu brauchen, musste ich leider feststellen, dass die Flasche leer war, genauso wie fast alle anderen Flaschen. Das nennt man Verdunstung. Immer nach dem Grundsatz: Im Zweifelsfall für den Angeklagten.

Hoch im Norden kurz vor Dänemark gibt es Getränke-Märkte, teilweise in fest vertäuten Riesenschiffen an einem eigens dafür gebauten Anleger mit Riesenparkfläche. Im Schiff fahren die Kunden mit Tieflader-Einkaufswagen auf Rollbändern wie im Flughafen auf mehrere Etagen. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viele alkoholische und nichtalkoholische Getränke sowie Süßigkeiten auf einmal gesehen. Die Leute schichten palettenweise Getränkedosen auf ihre Tieflader, dann folgt kartonweise der passende Alkohol. Mein gläubiger Schwippschwager bezeichnet das als „Getränkemarkt des Teufels“. Sehr viele Kunden kommen aus Skandinavien und können nicht genug bekommen. Ich sage nur alter Schwede! Skol!

Sekt schenkte man in den 1970er Jahren plötzlich in breite Sektkelche, damit man beim Genuss das Prickeln besser spürte. Beim Trinken musste man sich da allerdings ranhalten, denn durch die große Oberfläche ging die Kohlensäure schneller flöten. Vielleicht greift man deshalb seit den 1980er Jahren wieder zu Sektflöten. In diesen hohen schmalen Gläsern bleiben die CO2-Bläschen länger im Getränk. Jahre später wechselte man statt der Gläser lieber den Inhalt und gönnte sich und anderen ab und zu einen Prosecco. Auch Cocktails auf Prosecco Basis wie Aperol Spritz und Hugo wurden immer beliebter, auch Aperol Fizz. Manche Stars nennen ihre Kinder nach den Städten, in denen sie gezeugt wurden. Jetzt scheint es für manche Normalsterbliche inn zu sein, ihre Kinder nach dem Cocktail zu nennen, der sie vor der Zeugung in Stimmung gebracht hatte. Oder gibt es einen anderen Grund dafür, dass junge Eltern ihre Kinder heute wieder Hugo und Fritz nennen.

Nicht nur Cocktails wie z.B. Caipirinha, der Anfang des Jahrtausends plötzlich in Deutschland einschlug, auch Heißgetränke haben es in sich. So manch einer hatte davon ganz schön „einen im Tee“, nicht nur in Ostfriesland, auch in Österreich vom Jagertee. Ohne Tee tut es ein „steifer Grog“, in dem „der Löffel steht“: viel Rum, wenig kochendes Wasser und Zucker. Und ein Weihnachtsmarkt ohne Glühwein und Punsch ist kaum vorstellbar. Derzeit liegt der Eier-Punsch im Trend, den die Amerikaner übrigens Eggnog nennen. Mit offenem Feuer sollte man ihm nicht zu nahe kommen.

Auch beim Kaffeetrinken kann es hochprozentig hergehen. Beim Irish Coffee mit Whiskey, beim scheinheiligen Pharisäer mit Rum. Das Sahnehäubchen verhindert, dass der Alkohol verdunstet und somit durch den Alkoholgeruch verrät, weshalb die Leute plötzlich so lustig und redselig werden.

Damit die Menschen im Schnee, z.B. nach einem Lawinenunglück, nicht vor die Hunde gingen, schickte man ihnen früher einen Bernhardiner mit einem Fässchen Alkohol um den Hals. Jedenfalls wollte man uns das Glauben machen. Inzwischen wurde von offizieller Seite zugegeben, dass es sich bei dem Fässchen nur um eine Legende handelt. Aber so etwas lässt sich nun einmal fantastisch gut vermarkten, genauso, wie alles, was damit zusammenhängt, einschließlich Stofftiere mit Fässchenanhänger.

Wenn wir bei frostigen Temperaturen spazieren gehen, freue ich mich immer, wenn mein Mann ein kleines Fläschchen Kräuterlikör aus seiner Jackentasche zieht. Das Schlückchen kommt sofort mit einem wohligen Gefühl unten an und meine Füße sind augenblicklich wieder warm. Ja, Alkohol in kleinen Dosen kann kurzfristig die Lebensgeister wecken, mit Betonung auf kurzfristig.

Man sollte natürlich nicht täglich Drinks und Cocktails zu sich nehmen. Aber Wein, das muss schon sein! So wird es jedenfalls geschickt suggeriert. Das Weingeschäft wird stark promotet. Es gibt kaum eine amerikanische Serie oder einen Film, in dem die Protagonistin nicht mit einem langstieligen Weinglas in der Hand agiert. Kein Abendessen ohne hohe, edle Weingläser auf dem Tisch. Grundsätzlich sieht ja jemand mit einem eleganten Wein- oder Sektglas in der Hand seriös aus und nicht wie ein Fall für die Anonymen Alkoholiker. Der lange Stiel hat irgendwie Stil. Bei einer jungen Frau ohne Weinglas in der Hand liegt die Schwangerschaftsvermutung nahe. Für Wein darf geworben werden und so hat man es auch geschafft, dass kaum ein Best-Ager ohne Weinglas abends vor dem Fernseher sitzt. Wohlsein!

Aldi und Lidl machen’s möglich. Sie wetteifern darum, wer der größte Weinhändler Deutschlands ist und haben sogar eigene Sommeliers und Botschafter des Weins vorzuweisen. Wein war noch nie so günstig und gut verfügbar. Von dem 3-l-Pappkanister bis zur Luxusflasche. Sogar Champagner wird von Discountern angeboten. Und man bekommt das Gefühl, dass nicht nur der Wein ausbaufähig ist, sondern auch seine Beschreibungen. Wer denkt sich das nur alles aus? Sogar in den Werbe-Zeitungsbeilagen wird genauestens beschrieben, was einen spätestens beim Abgang erwartet. Es liest sich gut, aber kaum jemand kann es wirklich verstehen. Und zum Glück der Anbieter haben es die meisten spätestens beim Trinken sowieso vergessen. Prost!

Inzwischen gibt es sogar Wein für Veganer, bei dem das Etikett nicht mit tierischem Leim auf die Flasche geklebt wurde. Und nicht nur der Wein, sondern auch die Winzer werden plötzlich in den Vordergrund gerückt. Es gibt z.B. handverlesene Winzer, prominente Winzer, die Vereinigung der jungen Winzer und die Vereinigung der schwulen Winzer.

’Bier auf Wein das lass sein, Wein auf Bier, das rate ich Dir!’ Sie kennen diesen Spruch? Demnach sollte man also zuerst Bier trinken. Bier ist kein Modegetränk, man könnte es schon fast als Grundnahrungsmittel bezeichnen. So manch einer kommt aus dem Bierzelt getorkelt, nicht nur zum Oktoberfest und nicht nur in Bayern. In Kneipen und Pubs wird ganzjährig fleißig gezapft und gebechert. Ich bin einmal mit leichter Schlagseite aus dem Supermarkt geschwankt. Zum Glück konnte ich mich am Einkaufswagen festhalten. Es war an einem heißen Tag im Mai. Im Supermarkt wurde Maibock mit Verkostung promotet. Leider stand mein Durst im umgekehrten Verhältnis zu dem, was ich vertrage. Ups!

Es gibt für jeden das passende Getränk. Sogar bei Laktoseintoleranz muss man nun nicht mehr auf den Whiskey-Sahnelikör Baileys verzichten. Man höre und staune, den gibt es jetzt laktosefrei. Glutenfrei soll er laut Werbung auch sein. Aber warum sollte dieses Getreide-Klebereiweiß da überhaupt enthalten sein? Das ist im Bier enthalten, auf das man nun BeerJack sei Dank bei Glutenunverträglichkeit auch nicht mehr verzichten muss.
Ja, auch die Welt der Getränke wird immer komplexer. Wo führt das alles hin und wie würde sich die Bestellung an der Theke in ein paar Jahren anhören?

„Habt ihr glutenfreies Bier? Dann mach mir mal nen Großes!“
„Ich nehme Baileys, aber laktosefrei! “
„Ich auch! “
„Ach, haben sie auch eine Laktoseintoleranz?“
„Nein ich bin Veganer. Ich sage nur Mandeln statt Sahne.“
„Und ich bekomme einen Eierlikör, aber aus Freilandhaltung. Was! Haben sie nicht! Haben sie denn Grand Marnier aus Bio-Orangen? Ist ihre Kneipe überhaupt zertifiziert?“
„Nee! Aber wir haben Jägermeister aus heimischen Kräutern, auf die höchstens der Hirsch gepinkelt hat.“
„Besser der, als ein verdammter Jäger! Ich bin Vegetarier und ich hab was gegen das Jagen!“
„Sie auch? So ein Zufall, ich sammele Unterschriften gegen das Lied. ’Fuchs du hast die Gans gestohlen’! Darauf müssen wir einen trinken. Herr Wirt, geben sie mir einen Kirschlikör, aber zuckerfrei.“
„Aha! Und was wollen sie?“
„Ich bin von der Heilsarmee und habe eine Alkoholintoleranz.“
„Ja prima! Und ich bin Kneipenwirt, dachte ich zu mindestens. Mir reicht’s jetzt, ich hab keinen Bock mehr auf Leute, die nicht vernünftig saufen können …“

Okay, die Szene war jetzt vielleicht doch ein bisschen übertrieben. Aber ähnlich spielt sie sich heute schon ab und eines wird klar: Auch das Trinken von alkoholischen Getränken unterliegt dem Wandel der Zeit. Was ist momentan eigentlich gerade inn?
GIN!!!

Ein Deal für gute Laune

Ich liebe eine Sendung im Fernsehen, obwohl ich sie noch nie gesehen habe. Ich sehe auch sonst so gut wie nichts im Fernsehen, um mir nicht die gute Laune verderben zu lassen, wenn sie gerade mal kurz vorbeischaut. Aber warum liebe ich ausgerechnet diese Sendung?

Meine 86-jährige relativ demente und beratungsresistente Mutter, die ich aus bestimmten Gründen in Finanz-Angelegenheiten betreuen muss, ruft mich täglich sechs- bis zweiundzwanzigmal an und verlangt nach Bargeld, obwohl sie sämtliche Einkäufe bargeldlos tätigen kann.

Ich habe mit meiner Laune einen Deal getroffen. Wir lassen meine Mutter den ganzen Tag mit dem Anrufbeantworter ins Leere laufen. Gegen Abend hört mein Mann den Anrufbeantworter ab und gibt mir eine kurze Zusammenfassung des Aufgesprochenen oder spielt mir auch mal die eine oder andere Passage vor. Danach rufe ich zurück, es sei denn, ich hatte sie an dem Tag schon besucht.

Es ist mir ein Bedürfnis, täglich mit ihr zu sprechen, auch wenn ich jedes Mal ein ungutes Gefühl habe. Schon, wenn ich nur die Telefontaste drücke, frage ich mich immer, wird sie mich gleich wieder beschimpfen? So auch gestern.

Als ich anrief, traute ich meinen Ohren nicht. Ich hörte sie voller Begeisterung und freudestrahlend sagen: „Es gibt gerade Bares für Rares, diesmal aus einem richtigen Schloss, ganz toll! Was wolltest du?“

Bingo! Gepriesen sei diese Sendung. Mögen die Verantwortlichen sie in den nächsten vierzehn Jahren nicht absetzen. Meine Mutter möchte nämlich hundert Jahre alt werden, und OHNE diese Sendung wäre das schlecht auszuhalten, jedenfalls für ihre Kinder.

Was für die Kleinen der Kinderkanal, ist für meine Mutter offenbar diese Trödel-Verkaufs-Sendung. Ein Flohmarkt auf höchstem Niveau mit Experten und Gutachtern. Kinderkanal und Seniorenkanal, die reinsten Nervenretter! Ein Glücksfall für alle Betreuenden. Ich frage mich, wie die Leute es früher nur ohne Fernsehen ausgehalten haben, sogar wenn sie selbst gar nicht fernsehen wollten?

Ich hatte in der Programm-Zeitung gelesen, dass die Sendung in einem Industriegebiets-Gebäude aufgezeichnet wird. Dann wurde es ja höchste Zeit, dass sie jetzt den richtigen Rahmen bekommt. In einem Schloss gibt es bestimmt auch edle Teppiche, denke ich so bei mir.

Für meine Mutter sind Teppiche das, was Teekannen für mich sind. Aber Teekannen können zum Glück keine Mottenlöcher bekommen, wird mir erleichtert klar, als ich einen ihrer Teppiche betrachte. Dafür kann man Teppiche ohne Probleme fallen lassen, könnte meine Mutter erwidern. Aber warum sollte man die fallen lassen, die liegen doch schon – und das ÜBERALL.

Wenn meine Mutter früher ein freies Stück Teppichboden sah, wurde sie nervös und sie hielt umgehend nach einer geeigneten Brücke Ausschau. Weil die Größe nicht genau hinkam (eben anders als bei einem Puzzle), überlappten sich manche Teppiche – und daran hat sich leider nichts geändert. Es gibt nach wie vor richtige Stolperfallen. Jeder, der den Klassiker Dinner for one kennt, weiß, wovon ich spreche.

Hätte meine Mutter einen Butler, würde der sagen: „Kann ich den Tigerkopf noch mal sehen?“ Stimmt, da wüsste er wenigstens eindeutig, an welcher Stelle er stolpern kann.

Mit den Stühlen bleibt man ständig irgendwo hängen. Zum Glück saugt der alte Staubsauger so (zuverlässig) schlecht, dass er sich nicht irgendwo festsaugen und die einzelnen Teppiche hochreißen kann. Mit einem Profigerät müsste man ansonsten höchste Saugkünste an den Tag legen, um nicht zu verzweifeln.

Wenn ich sage, dass überall Teppiche sind, ist das noch untertrieben. Sogar vor der Wohnzimmertür meiner Mutter hängt von innen ein Wand-Teppich. In der Küche liegen ebenfalls Teppiche, ein Teppichläufer sogar direkt vor der Küchenzeile. Eine sehr hygienische Lösung, denn das dunkle, ehemals gestreifte Teil nimmt alles ganz in sich auf. Man sieht den Schmutz quasi nicht mehr und muss nichts wegwischen. Wie praktisch!

Aber das ist noch nicht alles. Zu allem Überfluss sind die Polstermöbel mit dunkelbraunen zottigen Lammfellen bedeckt. Die ganze Wohnung ist ein wahres Paradies für Reinigungskräfte, die minimal-invasiv vorgehen. Man kann garantiert nach dem Putzen keinen Unterschied zu vorher sehen.

Sollten Sie jemanden kennen, der auf dieser Basis reinigen möchte, oder würden Sie das gerne selber übernehmen, melden Sie sich doch bei mir. Für Hausstaub-Allergiker ist dieser Job allerdings weniger geeignet. Es sei denn, sie werfen regelmäßig vor dem Betreten der Wohnung ein Antiallergikum ein. Interessiert?