Wo Schwarzbrot draufsteht ist auch Schwarzbrot drin, denke ich so bei mir, während mich ein Prachtexemplar von einem grau weiß grünen Schimmelpilz durch die Schwarzbrot-Plastiktüte anguckt. Die liegt auf der Küchen-Arbeitsplatte meiner Mutter. Ich frage mich, ob früher Penicillin aus solchen Pilzen hergestellt wurde, bin jedoch heilfroh, dass eine Folie zwischen dem Pilz und mir ist und ich die Sporen nicht einatmen muss.
Mit der Tüte in der Hand bringen mich meine Füße fast automatisch zum Treteimer. Als ich das Pedal trete und sich die Klappe öffnet, schlägt mir eine krasse Duftwolke entgegen und ein Schwarm Fruchtfliegen freut sich auf die neu gewonnene Freiheit, während sich von hinten der Protest meiner Mutter auf mich richtet. Glücklicherweise muss ich diesmal nicht ganz so viel Überzeugungsarbeit leisten. Der enorme Pilz spricht für sich. Das Ganze verlangt nach einem sofortigen Etagenwechsel. Deshalb bringe ich die Müllbeutel in den Keller zum Mülleimer. Dort sind sie sicherer. Ich glaube, meine Mutter würde sie nicht wieder herausnehmen, ganz im Gegensatz zu abgelaufenen Medikamenten und Drogerie-Artikeln. Deshalb erfahren die von mir grundsätzlich einen Ortswechsel. Bis auf ein paar nostalgische Museumsstücke lasse ich sie diskret in meiner Tasche und dann in meinem Auto verschwinden. Sonst kann es schon mal vorkommen, dass sie beim nächsten Besuch wieder an ihrem gewohnten Platz stehen.
Es ist Sommer; und damit das neue Paket Schwarzbrot nicht wieder zu einem großen Schimmelhaufen mutiert, liegt es nun im Kühlschrank. Die Karotten, die in einer feuchten Plastiktüte vergeblich auf ihre Erlösung, äh Verarbeitung warten, passen sich mit ihren großen schwarzen Flecken farblich an. Das haben sie mit den grünen Bohnen gemeinsam. Das Schwarzbrot bleibt zwar nun, Kühlschrank sei Dank, länger frisch als auf der Arbeitsplatte, aber es gibt einen klitzekleinen Nachteil. Meine Mutter findet es nicht, selbst wenn sie es im Kühlschrank suchen würde. Sie hatte noch nicht einmal den Joghurt „Der Große Landwirt“, äh „Der Große Bauer“ gefunden, obwohl die großen Becher die Poleposition ganz vorne im Kühlschrank haben. Was soll man machen?
Meine Mutter kann alles allein. Davon ist sie überzeugt. Pflege- und Reinigungskräfte werden von ihr erfolgreich vergrault. Sie fühlt sich wohl in ihrer Welt und will 100 Jahre alt werden wie ihr Onkel. Sie braucht angeblich keine Hilfe. Dabei merkt sie einfach nicht, dass sie ohne unsere Hilfe schon weg vom Fenster gewesen wäre (in ihrem Haus).
Ihren drogenkranken Enkel hatte sie vorher lange Zeit als „Hausmeister“ bei sich im Haus wohnen. Leider erschien er nie pünktlich zum Essen, was meine Mutter dazu veranlasste, ihre Essen-Zeiten diesbezüglich ständig anzupassen. Ihre Flexibilität kennt keine Grenzen, wenn es um diesen einen Enkel geht. Seine Hauptaufgabe sah er im Lohnempfang. Er arbeitete grundsätzlich nur gegen Vorkasse mit zusätzlicher, anschließender Entlohnung, inklusive Vorschuss fürs nächste Mal. Arbeitstechnisch war er dann jedoch irgendwie ständig verhindert oder unpässlich, achtete aber umso beflissener auf fließende „Lohnfortzahlung“ zur Kostendeckung. Es gab viel zu tun im Haus, besonders weil es nicht getan wurde.
Meine Mutter weiß: Das Leben ist kein Ponyhof. Aber das Leben ist auch kein Pflegeheim. Doch ihre Beratungsresistenz arbeitet kräftig daran.