Zwetschgen mit Kirschlutscher-Aroma

Meine Mutter liebt Zwetschgen. Als sie noch ihren Schrebergarten hatte, verarbeitete sie die Früchte von drei Bäumen. Entsprechend viel Marmelade und Saft stand allen Familienmitgliedern zur Verfügung. Natürlich gab sie auch jedes Jahr mehrere Zwetschgenkuchen nach dem „Reinheitsgebot“: Hefeteig unter süßen Zwetschgen dicht an dicht.

Inzwischen kann sie nicht mehr backen und hat dazu auch keine Lust mehr. Aber so ein frischer Kuchen mit Zwetschgen steht nach wie vor hoch im Kurs. Deshalb überrasche ich sie bei meinen Besuchen gerne mit Zwetschgenkuchen, solange es die Früchte gibt. Während wir Kaffee tranken und im Fernsehen die Trödel-Show lief, wollten wir die beiden Stücke genießen, aber es wollte nicht so recht. Die aktuelle Variante war seeehr süß: Pudding unter Zwetschgen auf Keks-Boden mit Tortenguss-Topping in der Sorte Kirschlolly. Aber ich dachte, immer noch besser als die Variante von letzter Woche: saure Pflaumen auf bitterem Boden für Mülleimer.

Nach solchen Enttäuschungen frage ich mich jedes Mal, warum ich überhaupt noch Kuchen kaufe? Aber immer, wenn ich kurz davor bin, die Illusion völlig zu verlieren, gerate ich per Zufall an ein Genuss-Stück!

Aber freuen kann ich mich dann trotzdem nicht, denn meine Mutter isst es nur zur Hälfte auf, um den Rest aufzubewahren und im Kühlschrank alt werden zu lassen. Ihre falsche Bescheidenheit sorgt als letzte Instanz dafür, dass es dann doch kein gelungener Moment wird.

Und wenn ich beim nächsten Mal genau den gleichen Kuchen mitbringe, kann es mir passieren, dass sie ihn dieses Mal GAR NICHT mag und  ebenfalls angegessen in den Kühlschrank stellt. Die Lagerbereinigung bleibt natürlich an mir hängen. Dann heißt es Endstation Mülleimer.

Meine Gesamtsituation, nicht nur Kuchen betreffend, könnte man folgendermaßen auf den Punkt bringen:
Verzweifelte Einkäuferin in verwirrender Marktlage mit erheblichen Qualitätsunterschieden trifft auf schwierige Verbraucherin mit häufig wiederkehrender Konsumverweigerung.