Frisurtechnisch meiner Zeit voraus

Jeder weiß, welchen Stellenwert Taschen und Schuhe für Frauen haben. Ich wusste das schon als Kind, aber das war meiner Umwelt egal. Ich wollte gerne in den Kindergarten gehen, mit einer richtigen Kindergartentasche. Die hatte es mir angetan. Bei anderen Kindern hatte ich solche Taschen schon gesehen. Und ich stellte es mir schön vor. Aber ich durfte weder in diese Einrichtung noch eine solche Tasche haben. Das kostete nun einmal Geld und war in den Augen meiner Eltern unnötig.

Während meine Brüder in der Schule waren, beschäftigte ich mich also selber oder half meiner Mutter, z.B. beim Bohnern der Fußböden und der zahllosen Treppenstufen im ganzen Haus. Dann kam meine Einschulung. Meine Mutter ging nicht mit und blieb bei meiner kleinen Schwester, die damals erst ein paar Monate alt war. Heutzutage ist es normal, dass die Mütter ihre Babys mit zur Einschulung ihres älteren Kindes nehmen, aber damals wohl nicht. Also begleitete mich meine Großmutter. Leider hatte sie keinen Einfluss auf meine äußere Erscheinung, sonst wäre dieser Tag eindeutig anders verlaufen. Heute frage ich mich: „Wo war Amnestie International, als ich eingeschult wurde?“

Es war nicht das Schlimmste, dass meine Kleidung und mein Haarschnitt zu wünschen übrig ließen. Ich kannte es nicht anders. Die ausgeleierten Kniestrümpfe rutschten ständig hinunter zu meinen alten braunen Secondhand-Halbschuhen, und mein Secondhand-Rock saß zipfelig schief. Oder sollte ich besser Fourth-Hand schreiben, denn das würde es besser treffen. Es bestand keine Gefahr, dass aus mir ein eingebildeter Mensch werden könnte.

Von meinem Gesicht konnte man besonders viel sehen, denn der Pony war schräg geschnitten und begann ganz oben am Haaransatz. Das war aber nicht das Verbrechen eines Friseurs, nein, meine Mutter hatte mir die Haare geschnitten. Es hätte mich auch nicht getröstet, wenn ich damals gewusst hätte, dass ungefähr fünfzig Jahre später genau diese Frisur in einer Modezeitschrift abgebildet werden würde, und zwar als Highlight. Mit dem Haarschnitt war ich meiner Zeit also weit voraus – ein bisschen zu weit für ein Kind, würde ich sagen. Aber auch das war nicht das Schlimmste für mich an diesem Tag. Der Tornister war das wirkliche Problem.

Mein Interesse galt nämlich einzig und allein der Schultasche! Sie konnte sicher alles andere überstrahlen, und ich hatte sie mir schon im Traum ausgemalt. Aber dann wurde ich in die Realität zurückgeholt; ich bekam einen uralten, abgetragenen Tornister aus den 1930er Jahren. Heute würde man ihn als Vintagemodell bezeichnen und sicher besonders viel Geld dafür hinlegen. Damals war es eine praktische und vor allem günstige Lösung für meine Eltern. Sehr schmal, sehr hart, sehr dunkel und mit nur einer sehr umständlich zu handhabenden und schon sehr strapazierten Dorn-Schließe.

Solche Schulranzen hatte ich in der Hasenschule gesehen. Das war ein Bilderbuch, das es heute noch zu kaufen gibt. Die Hasen trugen auf ihren Rücken diese Art Tornister, aus denen eine Schnur hing, an der ein Schwamm baumelte, direkt neben ihrem Puschel-Schwänzchen. Den brauchten sie (den Schwamm, nicht den Puschel), um ihre kleinen Schultafeln abzuwischen, die sie zusammen mit ihren Büchern und ihren Griffeln dabei hatten. Zu den Hasen passten die Tornister, aber die waren auch zu einer ganz anderen Zeit „zur Schule gegangen“ als ich.

Alle meine Mitschüler hatten neue, helle, traumhaft schöne, moderne Schulranzen mit verschiedenen Fächern, einem Reißverschluss-Fach und zwei Vorfächern mit zwei praktischen Schnapp-Schlössern. Schon damals erkannte ich jedes Detail und machte mir meine Gedanken darüber, wie man die eine oder andere Schultasche noch optimieren könnte.

Ja, ich kann sagen, dass ich schon damals ein Gespür für Taschen hatte, und das ist mir geblieben; sie ziehen mich förmlich an. Manche von ihnen würde ich glatt erfinden, wenn es sie nicht schon gäbe und ich die Gelegenheit dazu bekäme. Und damit meine ich nicht nur Handtaschen, sondern auch Kindergartentaschen, Schulranzen, Cityrucksäcke, Aktentaschen, Reisetaschen … Es gibt für alles die passende Tasche und eine Entstehungsgeschichte dazu.

Wahrscheinlich verfügte MEIN Tornister auch über eine solche Geschichte. Das ändert aber nichts daran, dass er eindeutig zu den Tiefpunkten meines Lebens zählte. Für mich war und blieb er ein Hasen-Schulranzen, nur ohne Schwamm. An meinem Taschen-Defizit habe ich seit dem qualitativ gearbeitet und bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

Also Schwamm drüber.

Eine Antwort auf „Frisurtechnisch meiner Zeit voraus“

Schreibe einen Kommentar zu Marla Saris Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*