Wenn ein dünner Rosenkavalier durchs Netz geht

Ich meide Jahrmärkte. Aber in den abgelegten Frauenzeitschriften meiner Mutter präsentiert sich mir ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, dem ich kaum widerstehen kann. Mit einer Mischung aus Erstaunen, Abscheu und Mitleid verschlinge ich die Bilder von Gesellschaft und Adel. Es sind Fotos von Menschen, die abhängig sind von Publicity. Man kann sie als reich und berühmt oder arm und prominent betrachten. Wahrscheinlich trifft beides zu.

Neulich sah ich ein aktuelles Bild von einem Paar, er im traditionellen Cut, sie ganz in Weiß. Im Hintergrund eine traumhafte Kulisse mit roten Rosen. Sie küssten sich innig, während es rote Rosen regnete. Ich dachte sofort an Hildegard Knefs bekanntes Lied »Für mich soll‘s rote Rosen regnen«.

Wenn man mal davon absieht, dass der Bräutigam mit seinem langen schütteren Haar aussah wie Otto Walkes, waren es Bilder wie im Märchen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute… und zwar als Unverheiratete! Der jung gebliebene Otto-Versandhaus-Erbe veröffentlichte nämlich kurze Zeit später in einem Statement, dass die wunderschönen Bilder, die seine Verlobte gepostet hätte, sehr wohl ihre Liebe zeigen würden. Gleichwohl wolle er jedoch deutlich machen, dass sie NICHT verheiratet wären. Mit anderen Worten, die vierzig Jahre jüngere Verlobte des Herrn Otto würde wohl gerne mit ihm verheiratet sein, hat vorerst jedoch keine Veranlassung ihren Status zu ändern.

Ähnlichkeiten mit realen Hochzeiten sind rein absichtlich. Die hübsche junge Braut, die Teilnehmerin bei Germany‘s Next Topmodel und Dschungelcamp war, brauchte ganz offensichtlich einen Hingucker, um ihre Follower bei der Stange zu halten. Das bringt Publicity, nicht zuletzt auch für ihren Rosenkavalier, der aufgrund dieser Bilder vielleicht ein kleines bisschen prominenter wird. Wieder musste ich an Hildegard Knef denken. In ihrem größten Hit sang sie: „Ein und Eins das macht zwei, drum küss und denk nicht dabei, denn denken schadet der Illusion.“

Auf der nächsten Seite der Zeitschrift war ein weiteres Hochzeitspaar abgebildet. Ich sah ein hauchdünnes cremeweißes Etwas von einem kurz geschlitzten Kleid, dass im oberen Bereich den Riesenbusen einer Braut zusammenhielt. Auf dem Kopf trug sie ein Hütchen mit einem weißen Tüllnetz vor dem Gesicht. Die gigantischen schwarzen Wimmern dahinter erinnerten mich unwillkürlich an Miss Piggy. Aber die Frau auf dem Bild, die nichts weiter trug, als den Stoffschlauch und das Netzhütchen, war Pamela Anderson.

Sie musste wahrscheinlich achtgeben, dass sich die falschen Wimmern beim Klimpern nicht im Netz verfingen. Ganz offensichtlich ins Netz gegangen war ihr der zweiundzwanzig Jahre ältere Filmproduzent, den sie im Schlepptau hatte. Für sie war es das fünfte Mal, dass sie „Ja“ sagte. Zwölf Tage danach verkündete sie das Ehe-Aus, wie ich lesen konnte. Scheidung? Nicht notwendig. Liebe wäre ein Prozess, meinte sie im Interview. Sie hätten sich entschieden, dem Prozess zu vertrauen und die Anerkennung ihrer Ehe-Urkunde aufzuschieben. Die Zeit, um zu überlegen, wollten sie sich getrennt nehmen. Was für ein Statement! Man kann sagen, Publicity heiligt die Mittel. Das Paar hatte zwar „Ja“ gesagt, aber gar nicht unterschrieben. Ist das abgefahren!

Apropos abgefahren. Vielleicht hätten die Beiden lieber nicht in die desillusionierenden Flitterwochen fahren sollen. Dann wären sie womöglich noch ein paar Tage länger zusammen geblieben.

Ich frage mich, vor welchem halbseidenen Zeremonien-Meister sich das „Rosenpaar“ sein Ja-Wort gegeben hatte. Ist die „Probe-Ehe ohne Unterschrift“ der neueste Schrei der modernen Weddingplaner? Wer weiß, vielleicht haben die solche unverbindlichen Zeremonien längst in ihre Angebotsliste aufgenommen. Wenn nicht, dürfte das ein ausbaufähiges Geschäftsmodell mit Zukunft sein. Für Paare mit offener Zukunft. Drum prüfe, was sich ewig bindet, ob sich keine bessere Methode findet. Ich hätte da einige Ideen für Special-Angebote:

„Ein Hauch von Hochzeit für das Paar von Welt“

„Wedding light für die kleine Beziehung zwischendurch“

„Schnupper-Trauung für Paare ohne Traute“

„Fake-Wedding für Anfänger und Fortgeschrittene mit Scheidungsunverträglichkeit“

„Beziehungsneustart nach traditioneller Art – ohne Staat“

„Sag niemals nie!“ – Last Minute Angebote für Langzeitpaare

„Sag JEIN“ – Das unverbindliche Event zum Posten

„Sag nichts“ – Das Express-Hochzeits-Fotoshooting für Paare mit On/Off Beziehung

Immer nach dem Motto: Jetzt eine spannende Schummel-Trauung, später keine Ehe-Spannung!

Man weiß ja nie. Am Ende hält das Hüftgold von der Hochzeitstorte länger als die Beziehung. Und wieder fiel mir das Lied ein: „Ein und Eins das macht zwei, drum küss und lächle dabei, wenn dir auch manchmal zum Heulen ist.

Ich bin froh darüber, dass die meisten Hochzeitspaare nicht prominent sind – aber glücklich! Und ihre wunderschönen Bilder sind  für sie nicht nur Fotos, sondern auch Erinnerungen an kostbare Augenblicke, die sie wie einen Schatz hüten. Für sie hat es vielleicht keine roten Rosen geregnet, sondern Regentropfen, aber die waren echt, genauso wie der Glanz in ihren Augen und die Tränen des Glücks!

2 Antworten auf „Wenn ein dünner Rosenkavalier durchs Netz geht“

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